Im Kopf eines Meereskrokodils

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Wenn wir in der Paläontologie die Anatomie eines Organismus untersuchen wollen, stehen uns in der Regel nur die Hartteile wie Knochen oder Schalen zur Verfügung. Nur in den allerseltensten Fällen sind auch Reste des Weichgewebes erhalten. Doch benötigt man nicht zwangsläufig direkte Überreste der Weichteile, um deren Ausprägung erkennen zu können. Auch die erhaltenen Hartteile helfen oft indirekt bei der Interpretation. Die Hartteile, in diesem Fall Knochen, haben schließlich auch Stephen Brusatte und Kollegen verwendet, um etwas über das Gehirn und die Schädelgefäße eines sogenannten “Meereskrokodils” herauszufinden.

Die Meereskrokodile (Thalattosuchia) gehörten wie die heutigen Krokodile, Gaviale und Alligatoren zu der großen Gruppe der Crocodyliformes (“Krokodilartige”) und waren vor allem während des Jura weit verbreitet, einige Gattungen hatten sogar bis in die Unterkreide überlebt. Die Thalattosuchia lassen sich zum Großteil in zwei Familien unterteilen: Teleosauridae und Metriorhynchidae. Während die Teleosauriden in ihrem Erscheinungsbild noch eher den heutigen Gavialen glichen und sich zwar durchaus im Meer, aber immer noch in Landnähe aufhielten, waren die Metriorhynchiden deutlich an eine marine Lebensweise angepasst. Wie andere Meeresreptilien ihrer Zeit haben diese Krokodilartigen ihre Gliedmaßen zu Paddeln umgebildet und eine Schwanzflosse entwickelt.

Lebendrekonstruktion von Steneosaurus bollensis. von Nobu Tamura unter CC-BY-SA 4.0

Lebendrekonstruktion von Steneosaurus bollensis. von Nobu Tamura unter CC-BY-SA 4.0

Das Fossil, das Brusatte und Kollegen untersucht haben, gehört zu der Teleosauriden-Gattung Steneosaurus und stammt aus dem unteren Toarcium von Großbritannien. Die Wissenschaftler haben bei dem Schädel des Fossils eine Computertomographie durchgeführt, um einen sogenannten Endocast (einen Ausguss des inneren Schädels), sowie Rekonstruktionen des Innenohrs und der “Sinusvenen” zu erzeugen. Als Vergleich dienten die Schädelausgüsse dreier rezenter Krokodil-Arten: Australien-Krokodil (Crocodylus johnstoni), Mississippi-Alligator (Alligator mississippensis) und Krokodilkaiman (Caiman crocodilus).

Die Autoren kommen zu dem Ergebnis, dass der Schneckengang (Ductus cholearis) im Innenohr relativ verlängert war, das entspricht den Verhältnissen anderer Archosauromorphen (Dinosaurier, Pterosaurier, Krokodile und ihre nächsten Verwandten) und deutet nach Ansicht der Forscher darauf hin, dass Steneosaurus und eventuell andere Teleosauriden noch auf ihr Gehör an Land angewiesen waren und sich nicht wie die Metriorhynchiden zum Großteil unter Wasser aufgehalten haben.

Außerdem verfügte Steneosaurus offenbar über eine vergrößerte innere Halsschlagader (Arteria carotis interna) und Orbitalarterien. Diese Eigenschaft war bis jetzt nur von den Metriorhynchiden bekannt und tritt auch bei verschiedenen rezenten Wirbeltieren wie Meeresschildkröten oder Seevögeln auf, die ihre Nahrung im oder über dem Meer suchen. Bei diesen Tieren stehen diese vergrößerten Arterien in Verbindung mit sogenannten Salzdrüsen, die das überschüssige Salz aus dem Körper befördern, welches die Tiere durch ihre im Meer lebende Beute zwangsläufig mitaufnehmen. Schon bei den meeresbewohnenden Metriorhynchiden wurde das Vorhandensein solcher Salzdrüsen postuliert und offenbar könnten auch die basaleren Teleosauriden bereits über derartige Drüsen verfügt haben. Ob diese Drüsen ein Phänomen bei den Thalattosuchia sind, das sich erst mit dem (teilweisen) Leben im Meer entwickelt hat oder ob sie schon bei noch früheren Crocodyliformes vorhanden waren, die sich noch zum Großteil an Land aufhielten, lässt sich derzeit nicht bestimmen.

Näheres hier:

Stephen L. Brusatte, Amy Muir, Mark T. Young, Stig Walsh, Lorna Steel, Lawrence M. Wittmer (2016), The braincase and neurosensory anatomy of an Early Jurassic marine crocodylomorph: Implications for crocodylian sinus evolution and sensory transitions, The Anatomical Record onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1002/ar.23462/abstract

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Pascal Abel

Pascal Abel, Jahrgang 1994, hat an der Uni Erlangen Geowissenschaften mit den Vertiefungen Paläobiologie und Angewandter Sedimentologie studiert. Derzeit arbeitet er als Doktorand am SHEP Tübingen über die Schädelevolution von Landwirbeltieren. Nebenbei beschäftigt er sich auch mit ausgestorbenen Meeresreptilien und allgemein palökologischen Themen.

Über Pascal Abel

Pascal Abel, Jahrgang 1994, hat an der Uni Erlangen Geowissenschaften mit den Vertiefungen Paläobiologie und Angewandter Sedimentologie studiert. Derzeit arbeitet er als Doktorand am SHEP Tübingen über die Schädelevolution von Landwirbeltieren. Nebenbei beschäftigt er sich auch mit ausgestorbenen Meeresreptilien und allgemein palökologischen Themen.

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