Algen haben Gene fürs Landleben

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Wie Pflanzen das Land eroberten, zeigt sich in ihren Genen: Die Erbanlagen von Armleuchteralgen enthalten zahlreiche evolutionäre Neuerungen, die es ihren Vorläufern ermöglichten, sich auf dem Trockenen breit zu machen. Das hat ein internationales Konsortium herausgefunden (Julius-Maximilians-Universität (JMU), Philipps-Universität Marburg) indem es den Genbestand von „Brauns Armleuchteralge“ mit dem von Landpflanzen verglich.

Der Stammbaum der Landpflanzen weist die Armleuchteralgen als nahe Verwandte aus. Diese teilen sich …
(Illustration: Debbie Maizels)

Landpflanzen bilden eine außerordentlich vielfältige Gruppe von Lebewesen, die eine Fülle von Anpassungen an ganz unterschiedliche Lebensräume aufweisen – mächtige Baumriesen gehören ebenso dazu wie zarte Kräuter, Moose genauso wie Blütenpflanzen. „Die Landpflanzen teilen sich einen gemeinsamen Ahnen mit den Armleuchteralgen“, erklärt Seniorautor Stefan Rensing von der Philipps-Universität. Die beiden Linien trennten sich vor mehr als 500 Millionen Jahren. Armleuchteralgen, die im Süßwasser leben, besitzen eine komplexere Morphologie als andere verwandte Algenarten. Ihr Aussehen erinnert an mehrarmige Kerzenleuchter – davon leitet sich ihr deutscher Name ab.

Als die ersten Pflanzen an Land gingen, waren sie mit veränderten Umweltbedingungen konfrontiert. So mussten sich die Pioniere unter anderem gegen Austrocknung schützen. „Es gibt mehrere Algengruppen, die das Land besiedelt haben, aber nur eine davon hat sich zur Großgruppe der Landpflanzen weiterentwickelt“, erläutert Rensing. Welche Anpassungen waren dafür erforderlich?

Um das herauszufinden, präsentiert die Forschergruppe um den Marburger Zellbiologen erstmals das Genom der Armleuchteralgenart Chara braunii, um es mit dem von Landpflanzen zu vergleichen. „Unsere vergleichende Analyse deckt Gene auf, die im gemeinsamen Vorfahren der Armleuchteralgen und Landpflanzen entstanden“, führt der Studienleiter aus – Gene, die über Hunderte von Millionen von Jahren erhalten blieben. „Diese Gene stehen für evolutionäre Veränderungen, die mit der Entstehung einer vielfältigen morphologischen Komplexität einhergingen, wie wir sie von Landpflanzen kennen.“

Eine Innovation ist das Stresshormon Abscisinsäure (ABA). Es sorgt dafür, dass Landpflanzen bei Trockenheit auf einen Wassersparmodus umschalten. Bei Wasserpflanzen ist diese Regulation überflüssig. Trotzdem seien in den Genen von Chara die frühen Syntheseschritte für ABA schon angelegt, so Pflanzenwissenschaftler Rainer Hedrich von der Julius-Maximilians-Universität Würzburg (JMU). Von den passenden Hormonrezeptoren dagegen finde sich keine Spur.

Auch die Zellteilung und den Aufbau der Zellwand musste sich anpassen – kein Wunder, wenn man an die Bedeutung denkt, die der Schutz vor Austrocknung für den Landgang hatte. „Ähnlich wie Landpflanzen führen die Armleuchteralgen eine Zellteilung durch, bei der spezielle Proteine eine Zellplatte zusammensetzen. Diese entwickelt sich anschließend zur neuen Querwand“, schreiben die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler.

Spezifische Kalium-Transporter fehlen

Chara gehört zu den höher entwickelten Algen und ähnelt im Aussehen einer Landpflanze. Unter anderem besitzt sie wurzelähnliche Strukturen, mit denen sie sich am Grund von Gewässern verankert. Anders als bei den Landpflanzen, spielen diese „Wurzeln“ für die Aufnahme von Nährstoffen aber keine Rolle – schließlich ist die Alge im Wasser dauernd von Kalium und anderen Nährsalzen umflutet. So kann sie die wichtigen Stoffe praktisch mit jeder Zelle ihres Körpers aufnehmen.

„Die meisten Gene, die auch bei Landpflanzen für die Aufnahme und Verteilung von Nährstoffen wichtig sind, finden wir auch im Erbgut von Chara vertreten“, sagt Professor Dirk Becker. Wurzelspezifische Transporter für Kalium, wie bei Landpflanzen, seien in der Alge aber bislang nicht nachgewiesen worden: „Das könnte bedeuten, dass Kalium im Wasser leichter verfügbar ist als im Boden.“

Die Alge Chara nutzt elektrische Potentiale, um in ihrem Körper Signale über längere Strecken (mehrere Zentimeter) weiterzuleiten. Welche Ionenkanäle daran beteiligt sind, ist noch unbekannt.
(Bild: Nora Stingl, Rob Roelfsema, Anna Alova)

Algenzellen leiten elektrische Signale weiter

Neben einer Art Wurzel hat die Alge auch einen sprossähnlichen Wuchs mit knotigen Verdickungen, an denen blattartige Gebilde sitzen. Die Abstände zwischen den Knoten können bis zu 20 Zentimeter lang sein – und sie warten mit einer Besonderheit auf: Die Zellen in diesem Bereich geben elektrische Signale ab und leiten sie in der Alge weiter.

„Chara wird darum seit den 1950er-Jahren als Modell verwendet, um die elektrische Erregbarkeit von Pflanzenzellen zu erforschen“, sagt Hedrich. „Man nennt die Alge auch ‚grünes Axon‘, weil ihre Zellen nach einer Stimulation durch Licht oder Berührungen Aktionspotentiale abfeuern.“ Axone sind bei tierischen und menschlichen Nervenzellen die Fortsätze, die elektrische Signale weiterleiten.

Mit Hilfe des entschlüsselten Genoms von Chara will Hedrichs Team jetzt untersuchen, welche Ionenkanäle bei der Alge für die Aktionspotentiale verantwortlich sind. Bei Landpflanzen sind Glutamat-Rezeptor-Kanäle maßgeblich an der Übertragung elektrischer Signale über längere Strecken beteiligt. Im Genom von Chara finden sich diese Rezeptoren aber nicht. Der evolutionäre Ursprung der elektrischen Erregbarkeit bei Pflanzen stellt die Wissenschaft also noch vor einige Rätsel.

Veröffentlichung: Tomoaki Nishiyama, Hidetoshi Sakayama & al.: The Chara genome: secondary complexity and implications for plant terrestrialization, Cell 12.7.2018

Quelle: off. Pn der Julius-Maximilians-Universität (JMU) Würzburg und der Philipps-Universität Marburg

Titelbildunterschrift: Eine künstlerische Wiedergabe stellt  Chara braunii dar, von denen sich verschiedene Arten von Landpflanzen (L-R) abgebabelt haben: ein Moos, ein Farn, eine Konifere und eine Blume
(Bild: Melanie Barth and Debbie Maizels)

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Pia Gaupels

Gründerin bei GeoHorizon
Pia Gaupels, *86, Bibliotheksinformationsstudium an der TH Köln von 2007-2010. Studiert seit 2014 an der Universität Münster Geowissenschaften. Der Schwerpunkt liegt auf Planetare Geologie und Geoinformationswissenschaften. 2015 gründete Sie die Seite Geohorizon. Sie besitzt ausgeprägte Fähigkeiten in der Bild- und Videobearbeitung und arbeitet seit 2018 wieder als Bibliothekarin.

Über Pia Gaupels

Pia Gaupels, *86, Bibliotheksinformationsstudium an der TH Köln von 2007-2010. Studiert seit 2014 an der Universität Münster Geowissenschaften. Der Schwerpunkt liegt auf Planetare Geologie und Geoinformationswissenschaften. 2015 gründete Sie die Seite Geohorizon. Sie besitzt ausgeprägte Fähigkeiten in der Bild- und Videobearbeitung und arbeitet seit 2018 wieder als Bibliothekarin.

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