Innovative Messmethode erlaubt neuen Blick ins Erdinnere: Anreicherung schwerer Elemente in tiefem Magma

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Eine innovative Röntgenmethode ermöglicht neue Hochdruckuntersuchungen von Proben unter den Bedingungen des tiefen Erdmantels. Das von einem Team um Georg Spiekermann von DESY, dem Deutschen Geoforschungszentrum GFZ und der Universität Potsdam entwickelte Verfahren erweitert das Instrumentarium der Hochdruckforscher. Erfolgreiche Tests der neuen Technik an DESYs Röntgenlichtquelle PETRA III stützen die Vorstellung, dass sich in Magma des tiefen Erdmantels schwere Elemente anreichern müssen, damit es dort stabil existieren kann. Die Wissenschaftler stellen ihre Arbeit im Fachblatt „Physical Review X“ vor.

Die sogenannten Standardbedingungen der Chemie, also eine Temperatur von 25 Grad Celsius und ein Druck von 1013 Millibar, sind in der Natur eigentlich ein seltener Spezialfall. Die meiste Materie im Universum existiert unter völlig anderen Bedingungen. So steigen beispielsweise im Erdinneren Druck und Temperatur schnell auf ein Vielfaches der Standardbedingungen an. „Allerdings ist selbst mit den aufwendigsten Tiefenbohrungen nur der oberste Teil der Erdkruste zugänglich,“ betont Spiekermann. Forscher stellen daher die Bedingungen des Erdinneren im Labor nach, um das Verhalten von Materie unter diesen Umständen zu erkunden.

Die Energie der Emissionslinie hängt von der Koordinationszahl ab, die Intensität vom Bindungsabstand. (Bild: Universität Potsdam, Georg Spiekermann)

Bei solchen Experimenten geht es oft darum, die innere Struktur der untersuchten Proben zu bestimmen, die sich mit steigendem Druck bei vielen Materialien ändert. Diese Struktur lässt sich mit Röntgenlicht erkunden, das energiereich genug ist, um in die Probe einzudringen, und kurzwellig genug, um die winzigen Details atomarer Distanzen darzustellen. Zu diesem Zweck existieren in der Hochdruckforschung bislang zwei auf Röntgenstrahlung basierende Methoden, nämlich einerseits Absorption und andererseits Beugung von Röntgenlicht durch die Probe.

Das Team um Spiekermann hat nun auf Basis der Röntgenemission eine dritte Methode entwickelt, mit der sich sowohl die Bindungsabstände in komprimierter amorpher (ungeordneter) Materie bestimmen lassen als auch die sogenannte Koordinationszahl, die angibt, wie viele direkte Nachbarn ein Atom besitzt. Diese Parameter können demnach aus Energie und Intensität der Strahlung einer bestimmten Emissionslinie, Kβ” („K-Beta-Doubleprime“), der Probe abgelesen werden. Die Kβ”-Strahlung entsteht, wenn die Probe mit Röntgenlicht bestrahlt wird. Die Energie der Emissionslinie hängt dabei von der Koordinationszahl ab, die Intensität vom Bindungsabstand.

Versuche an der Experimentierstation P01 an DESYs Röntgenquelle PETRA III haben die Methode bestätigt. „Gezeigt haben wir das anhand des Spektrums von Germanium in komprimiertem amorphem Germaniumdioxid, aber diese Vorgehensweise wird sich auch auf andere chemische Systeme anwenden lassen“, sagt Spiekermann.

Damit steht den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern eine zusätzliche Technik zur Strukturuntersuchung von Hochdruckproben zur Verfügung. „Der Einblick durch eine neue Messmethode ist besonders dann willkommen, wenn verschiedene Methoden bisher zu deutlich unterschiedlichen Ergebnissen führten, wie beispielsweise im Fall von komprimiertem amorphen Germaniumdioxid“, erläutert DESY-Forscher Hans-Christian Wille, Leiter der Messstation, an der die Versuche stattgefunden haben.

Für ihre Experimente setzten die Forscher Proben aus Germaniumdioxid (GeO2) einem Druck von bis zu 100 Gigapascal aus, rund eine Million Mal so viel wie der Luftdruck auf Meereshöhe. Dieser Druck entspricht einer Tiefe von 2200 Kilometern im unteren Erdmantel. Die Messungen zeigen, dass die Koordinationszahl von Germaniumdioxid selbst unter diesem extremen Druck nicht höher steigt als sechs. Das heißt, die Germaniumatome besitzen auch in der Hochdruckphase weiterhin je sechs Nachbaratome wie schon bei 15 Gigapascal.

Dieses Ergebnis ist für die Erforschung des Erdinneren von großem Interesse, denn Germaniumdioxid hat dieselbe Struktur und verhält sich wie Siliziumdioxid (SiO2), vermutlich der Hauptbestandteil des Magmas im unteren Erdmantel. Da Schmelzen wie Magma im Allgemeinen eine geringere Dichte haben als die feste Form desselben Materials, ist es ein seit Langem untersuchtes Rätsel, warum Magmen in großer Tiefe über geologische Zeiträume nicht aufsteigen.

Die Verformung des GeO6-Oktaeders in der Reihenfolge der kristallinen Hochdruck-GeO2-Polymorphen rutilartige GeO2, CaCl2 – ähnlich, α -PbO2 -ähnlich, und FeS2 -ähnlich GeO2. (Ill: s. Veröffentlichung)

„Dafür gibt es zwei mögliche Erklärungen, die eine chemisch, die andere strukturell“, erläutert Spiekermann. „Entweder schwere Elemente wie Eisen reichern sich in der Schmelze an, oder es gibt einen speziellen Kompaktionsmechanismus in Schmelzen, der sie dichter werden lässt als die kristallinen Formen gleicher Zusammensetzung.“ Letzteres würde sich unter anderem durch einen Anstieg der Koordinationszahl unter Hochdruck bemerkbar machen.

„Unsere Untersuchungen zeigen, dass bis 100 Gigapascal die Koordinationszahl in nicht-kristallinem Germaniumdioxid nicht höher ist als in der entsprechenden kristallinen Form“, berichtet der Forscher. Übertragen auf Siliziumdioxid bedeute dies, dass Magma mit einer höheren Dichte nur durch die Anreicherung relativ schwerer Elemente wie Eisen entstehen könne. Die Zusammensetzung und der Aufbau des unteren Mantels haben weitreichende Konsequenzen für den globalen Transport von Wärme und die Ausbreitung des Erdmagnetfelds.

An dieser Arbeit waren die Universität Potsdam, DESY, das Deutsche Geoforschungszentrum GFZ, die Europäische Synchrotronstrahlungsquelle ESRF, der europäische Röntgenlaser European XFEL, die Universität Bayreuth, die Technische Universität Dortmund, die Universität Frankfurt, die Universität von Saskatchewan, die Technische Hochschule Tokio und das US-Beschleunigerzentrum SLAC beteiligt.



Veröffentlichung: Persistent Octahedral Coordination in Amorphous GeO2 Up to 100 GPa by Kβ” X-Ray Emission Spectroscopy; G. Spiekermann, M. Harder, K. Gilmore, P. Zalden, Ch. J. Sahle, S. Petitgirard, M. Wilke, N. Biedermann, C. Weis, W. Morgenroth, J. S. Tse, E. Kulik, N. Nishiyama, H. Yavaş, and C. Sternemann; „Physical Review X“, 2019; DOI: 10.1103/PhysRevX.9.011025

Quelle: off. Pm des DESY

Titelbildunterschrift: Innerer Aufbau der Erde. Bild: DESY, Franziska Lorenz & Jochen Stuhrmann/illustrato


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Pia Gaupels

Gründerin bei GeoHorizon
Pia Gaupels, *86, Bibliotheksinformationsstudium an der TH Köln von 2007-2010. Studiert seit 2014 an der Universität Münster Geowissenschaften. Der Schwerpunkt liegt auf Planetare Geologie und Geoinformationswissenschaften. 2015 gründete Sie die Seite Geohorizon. Sie besitzt ausgeprägte Fähigkeiten in der Bild- und Videobearbeitung und arbeitet seit 2018 wieder als Bibliothekarin.

Über Pia Gaupels

Pia Gaupels, *86, Bibliotheksinformationsstudium an der TH Köln von 2007-2010. Studiert seit 2014 an der Universität Münster Geowissenschaften. Der Schwerpunkt liegt auf Planetare Geologie und Geoinformationswissenschaften. 2015 gründete Sie die Seite Geohorizon. Sie besitzt ausgeprägte Fähigkeiten in der Bild- und Videobearbeitung und arbeitet seit 2018 wieder als Bibliothekarin.

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