Bau von Biomineralen: Das Rezept der Natur ist alt und hat sich mehr als einmal evolutionär weiterentwickelt

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In den letzten Jahren haben Wissenschaftler viele Geheimnisse der Biomineralisierung gelüftet. Durch diesen grundlegenden Prozess bilden Seeigel ihre Stachel, Muscheln ihr Gehäuse, Korallen ihre Exoskelette, und Wirbeltiere Knochen und Zähne. Ein in der Fachzeitschrift Proceedings of the National Academy of Sciences (PNAS) veröffentlichten Bericht zeigt ein Team unter der Leitung von Pupa Gilbert, einem Physikprofessor der University of Wisconsin-Madison, dass das Konzept zur Herstellung von Muscheln, Stacheln und Korallenskeletten nicht nur in vielen modernen Tierlinien gleich ist, sondern bereits seit 550 Millionen Jahren existiert und sich mehr als einmal unabhängig weiterentwickelt hat.

Die Materialien, die Tiere herstellen, um Gehäuse, rasiermesserscharfe Zähne, tragende Knochen und nadelförmige Stacheln zu bauen, gehören zu den härtesten und haltbarsten Substanzen, die Lebewesen produzieren. Das Rezept für die Herstellung dieser Materialien war lange eines der streng geheim gehaltenen Geheimnisse der Natur, aber leistungsstarke neue Analysewerkzeuge und Mikroskope haben einen Großteil des Geheimnisses aufgeklärt und im Nanobereich gezeigt, wie eine Vielzahl von Tieren genau die selben Mechanismen und Ausgangschemikalien verwenden, um die biomineralischen Strukturen, von denen sie abhängig sind, auszubilden.

Die Ergebnisse sind wichtig, weil sie helfen, eine evolutionäre Geschichte der Biomineralisierung zusammenzusetzen. Das umfassendere Bild eines Prozesses, der für das Tierleben auf unserem Planeten allgegenwärtig ist, verrät uns nicht nur etwas Wichtiges über unsere Welt. Die Details könnten eines Tages vom Menschen genutzt werden, um härtere, leichtere und haltbarere Materialien herzustellen. Es wären Werkzeuge, die nie geschärft werden müssen, zuverlässigere biomedizinische Implantate oder es bestünde die Möglichkeit, Vergangenes wiederherzustellen, wie zum Beispiel abgestorbene Korallenriffe.

“Die Erkenntnis, dass sich die Biomineralisierung mit dem gleichen Mechanismus mehrfach unabhängig voneinander entwickelt hat, zeigt uns, dass es dafür einen starken physikalischen oder chemischen Grund gibt”, sagt Gilbert, ein Experte für Biomineralisierungsprozesse. “Wenn ein Organismus anfängt, Biominerale auf diese Weise herzustellen, übertrifft er alle anderen, die entweder keine Biominerale herstellen oder es auf eine andere Weise herstellen. Er hat einen entschiedenen evolutionären Vorteil. Er wird nicht gefressen und kann diese Fähigkeit über die Linie seiner Nachkommen hinaus weitergeben.”

Der neue PNAS-Bericht baut auf einer Reihe von grundlegenden Entdeckungen von Gilbert und seinen Kollegen auf. In früheren Studien hatte der Physiker gezeigt, dass der Prozess der Biomineralisierung in sehr unterschiedlichen Tierklassen auf dieselbe Weise funktioniert, von Muscheln und Schnecken über Stachelhäuter wie Seeigel bis hin zu Nesseltieren, einer großen Gruppe von Tieren, die Korallen, Quallen und Seeanemonen umfasst. Diese Tierstämmen haben keinen gemeinsamen Vorfahren, der bereits biomineralisiert war, also müssen sie selbstständig und unabhängig voneinander Biomineralisierungsmechanismen entwickelt haben. Deshalb, so Gilbert, “ist es äußerst überraschend dass, als sie vor mehr als 500 Millionen Jahren im Kambrium mit der Biomineralisierung begannen, diese drei Phyla es auf die exakt gleiche Weise taten: durch die Anhaftung von amorphen Nanopartikeln”.

Gilbert und seine Kollegen haben gezeigt, dass sich verschiedene Biominerale bilden, beginnend mit amorphen Calciumcarbonat-Nanopartikeln, die in Zellen produziert werden und die kritische Ausgangsstoffe für alle Materialien sind, die sich bei der Biomineralisierung bilden, z. B. Perlmutt. Er ist es, der eine Abaloneschale oder die gesteinsmahlenden Zähne eines Seeigels auskleidet. “Durch diese amorphen Vorläufer-Nanopartikel entstehen mehr als eine biomineralische Form”, sagt Gilbert. “Es spielt keine Rolle, ob es sich um eine Seeigelstacheln, einen Zahn, Knochen oder eine Koralle handelt. Alle diese Systeme haben die gleichen amorphen Vorläufer.

“Amorphe Calciumcarbonat-Nanopartikel”, fügt Gilbert hinzu, “werden durch Einschlüsse stabilisiert, und zwar reversibel. So keimen Kristalle nicht am falschen Ort und zur falschen Zeit, sondern sie können und tun es am richtigen Ort und zur richtigen Zeit, d. h. auf der Wachstumsoberfläche einer Muschel, eines Korallenskeletts oder einer Seeigelrückseite.”

Die Fähigkeit vieler Tiere, harte, schützende oder defensive Strukturen zu schaffen, so Knoll, sei wahrscheinlich eine breite Reaktion auf die Entwicklung der Fleischfresser gewesen, was sich in einem “Ausbruch der Biomineralisierung” in Fossilien aus der Periode des Kambriums widerspiegelt, die vor rund 541 Millionen Jahren begann.

In der Natur wird es am Ort der Biomineralisierung transformiert, indem es an einer Stelle haftet und Kristalle bildet, in denen einzelne Atome exakt ausgerichtet sind, um ein Gitter zu bilden. Dabei ist die Gerüststruktur für jede Tierart einzigartig. Der Prozess wurde von Gilberts Team mit einem neuartigen Mikroskop ausgelotet, das die sanften Röntgenstrahlen der Synchrotronstrahlung nutzt, um die Strukturen während des Zusammenwachsens auf der Nanoskala zu beobachten.

Gilberts Team reiste evolutionär in der Zeit zurück und wandte die gleichen Techniken an, um die tiefe fossile Aufzeichnung in drei verschiedenen Tierstämmen zu erforschen, die bis zu 550 Millionen Jahre zurückreichen, um das älteste bekannte tierische Biomineral zu erforschen: das Cloudina-Skelett mit seiner charakteristischen Abfolge von Trichtern, die sich ineinander verkeilen.

Gilbert stellt fest dass, während Tierreste signifikante Veränderungen im Prozess der Versteinerung erfahren, die Biomineralisierungssignatur der Nanopartikel intakt bleibt und durch das Aufbrechen offener Fossilien und die Verwendung eines Rasterelektronenmikroskops beobachtbar wird, um die Bruchstelle nach den verräterischen Anzeichen von Nanopartikeln während des ursprünglichen Kristallisationsprozesses zu untersuchen. “Wir sind so weit wie möglich in der Zeit zurückgegangen, bis zu den allerersten Fossilien, und es zeigt sich: Die Biomineralisation durch Partikelbindung sieht genauso aus wie bei modernen Tieren.”

Die Geschichte der Biomineralisierung, die von Gilbert und seinen Kollegen entschlüsselt wurde, kann die Entwicklung neuer Materialien für die Industrie beeinflussen.

“Wir wissen nicht, wie man amorphes Calciumcarbonat oder andere Materialien zu einem raumfüllenden Feststoff macht und dann kristallisiert, aber Zellen in Meeresorganismen schon”, erklärt Gilbert. “Was wir von ihnen lernen, können wir im Labor und in der Industrie reproduzieren und Materialien herstellen, die viel besser sind als die Summe ihrer Teile, wie bei allen Biomineralen.”


Veröffentlichung: Pupa U. P. A. Gilbert et al. Biomineralization by particle attachment in early animals, Proceedings of the National Academy of Sciences (2019). DOI: 10.1073/pnas.1902273116

Quelle: off. PM der University of Wisconsin-Madison

Titelbildunterschrift: Ein Desmoceras-Fossil. Ein Kopffüßer, der vor 146 bis 100 Millionen Jahren in der frühen Kreidezeit lebte. Beachten Sie den versteinerten biomineralischen Perlmutt. (Bild: Pupa Gilbert)


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Pia Gaupels

Gründerin bei GeoHorizon
Pia Gaupels, *86, Bibliotheksinformationsstudium an der TH Köln von 2007-2010. Studiert seit 2014 an der Universität Münster Geowissenschaften. Der Schwerpunkt liegt auf Planetare Geologie und Geoinformationswissenschaften. 2015 gründete Sie die Seite Geohorizon. Sie besitzt ausgeprägte Fähigkeiten in der Bild- und Videobearbeitung und arbeitet seit 2018 wieder als Bibliothekarin.

Über Pia Gaupels

Pia Gaupels, *86, Bibliotheksinformationsstudium an der TH Köln von 2007-2010. Studiert seit 2014 an der Universität Münster Geowissenschaften. Der Schwerpunkt liegt auf Planetare Geologie und Geoinformationswissenschaften. 2015 gründete Sie die Seite Geohorizon. Sie besitzt ausgeprägte Fähigkeiten in der Bild- und Videobearbeitung und arbeitet seit 2018 wieder als Bibliothekarin.

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