Forscher der Zoologischen Staatssammlung München haben die Besiedlungsgeschichte von Inseln im westlichen Indischen Ozean durch Reptilien untersucht. Durch molekulare Datierung eines Gecko-Stammbaums („Molekulare Uhr“) fanden sie heraus, dass die Vulkaninsel Grand Comoro wahrscheinlich viel älter ist als ihr geologisch bestimmtes Alter. Außerdem stellten sie fest, dass Reptilien ozeanische Inseln viel häufiger besiedelt haben als bisher angenommen wurde und dabei manchmal tausende Kilometer über das Meer gedriftet sind.
Seit Charles Darwins Studien auf Galapagos gelten ozeanische Inselgruppen, die nie mit dem Festland in Verbindung standen, als natürliche Laboratorien der Evolutionsforschung. Manchmal werden Landtiere auf Baumstämmen oder anderen natürlichen Flößen auf das Meer hinausgetrieben und gelangen mit sehr viel Glück auf solche Inseln. Wenn sie dort eine neue Population gründen, beginnt ihre eigenständige Evolution. Die DNA, das genetische Erbgut von Organismen, verändert sich ständig und führt so über lange Zeiträume zur Entstehung neuer Arten. In bestimmten Teilen des Genoms bleibt die Veränderungsrate über Jahrmillionen relativ konstant, so dass Wissenschaftler aufgrund der Anzahl solcher Mutationen das evolutionäre Alter von Populationen und Arten seit ihrer Aufspaltung bestimmen können. Eine solche „Molekulare Uhr“ wurde nun für Pinselschwanzgeckos (Gattung Ebenavia) erarbeitet, die neben Madagaskar auch einige kleinere Inseln des westlichen Indischen Ozeans besiedelt haben.
Geologen hatten die meisten von Pinselschwanzgeckos bewohnten Inseln zuvor auf ein Alter von 2-15 Millionen Jahre datiert. Die Münchner Forscher und ihre Kooperationspartner stellten fest, dass die auf ihnen lebenden Geckos entsprechend jünger waren als die Inseln – die geologischen und molekularen Datierungen passten also gut zusammen. Aber es gab eine Ausnahme: Die Insel Grand Comoro wird geologisch auf ein Alter von höchstens 500.000 Jahren geschätzt, während die molekulare Gecko-Uhr ein Alter von 3-5 Millionen Jahren anzeigt.
Wie also ist zu erklären, dass die Bewohner von Grand Comoro schon existierten, als die Insel noch gar nicht entstanden war? „Dazu gibt es mehrere Möglichkeiten“, erklärt Oliver Hawlitschek, Erstautor der Studie. „Zum Beispiel könnten die Geckos zuvor auf einer inzwischen versunkenen Insel gelebt haben, so dass wir dieses Teil des Puzzles nicht mehr finden können.“ Wahrscheinlicher ist aber, dass die bisherigen Datierungen ungenau sind, denn geologische Altersmessungen von Inseln beruhen auf Gesteinen, die für Geologen auch zugänglich sind. Die bis zu 2360 m hohe Insel Grand Comoro ist vulkanisch noch sehr aktiv und ihre Oberfläche ist zum größten Teil von junger Lava bedeckt. Es ist also gut möglich, dass die ältesten Schichten noch gar nicht datiert sind und die Insel daher viel jünger erscheint als sie ist.
In solchen Fällen kann die Altersbestimmung an Hand von Molekularen Uhren zuverlässiger sein und eine unabhängige Überprüfung geologischer Datierungen ermöglichen. „Eine weltweite Anwendung der Methode könnte noch viele Überraschungen bringen“, fährt Hawlitschek fort: „Bereits in den letzten Jahren häuften sich die Hinweise aus der Biologie, dass das geologische Alter mancher Inseln falsch bestimmt ist. Erst jetzt haben wir aber die technischen Möglichkeiten, solche Vermutungen mit der Molekularen Uhr auch klar zu belegen.“
Die genetische Untersuchung der kleinen Echsen zeigt jedoch noch mehr. So stimmen die Pinselschwanzgeckos der Insel Mauritius genetisch mit denen aus Tamatave überein, der wichtigsten Hafenstadt im Osten Madagaskars. Offensichtlich sind die kleinen Geckos auf Mauritius als blinde Passagiere per Schiff eingereist.
Doch schon lange vor den Menschen haben Reptilien im Indischen Ozean erstaunlich häufige und lange Seereisen unternommen. In Zusammenarbeit mit dem spanischen Zentrum für Meeres- und Umweltforschung (CMIMA) haben die Forscher solche Fälle zusammengetragen. „Allein im westlichen Indischen Ozean können wir 48 Ereignisse belegen, in denen Reptilien ozeanische Inseln durch weiträumige Verdriftung über das offene Meer besiedelt haben, meist über Distanzen zwischen 100 und 1000 Kilometer“, fasst Frank Glaw von der Zoologischen Staatssammlung zusammen. „Dabei werden sie vor allem von vorherrschenden Meeresströmungen getrieben. Einzelne Arten haben auf diese Weise über 5000 Kilometer zurückgelegt und fast den gesamten Indischen Ozean durchquert!“
?Publikationen: ?
?Hawlitschek, O., Toussaint, E. F. A., Gehring, P.-S., Ratsoavina, F. M., Cole, N., Crottini, A., Nopper, J., Lam, A. W., Vences, M., Glaw, F. (2016): Gecko phylogeography in the Western Indian Ocean region: the oldest clade of Ebenavia inunguis lives on the youngest island. Journal of Biogeography. doi:10.1111/jbi.12912
?Hawlitschek, O., Ramírez Garrido, S., Glaw F. (2016): How marine currents influenced the widespread natural overseas dispersal of reptiles in the Western Indian Ocean region. Journal of Biogeography. doi:10.1111/jbi.12940
Pia Gaupels
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