Möglicherweise mehr Vielfalt bei Riesen-Flugsauriern

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Die Pterosaurier-Familie der Azhdarchidae gilt als die Gruppe der größten fliegenden Lebewesen der bisherigen Erdgeschichte. Einer ihrer Vertreter, Quetzalcoatlus, ist auch dem Laienpublikum seit längerem recht gut bekannt – ein riesiger Flugsaurier aus der Oberkreide Nordamerikas mit einer geschätzten Flügelspannweite von über 12 m. Abseits der Fachkreise weniger bekannt ist, dass die Gruppe inzwischen noch durch zahlreiche weitere Vertreter bekannt ist, von denen durchaus nicht alle, aber doch einige groß bis riesig waren. Der Fossilbericht dieser Gruppe ist gleichwohl noch lückenhaft, die meisten Spezies sind nur durch sehr unvollständige Überreste bekannt. Entsprechend groß sind bisher die Fragen zur Ökologie und Biologie dieser Tiere. Die neuerliche Untersuchung eines in Rumänien gefundenen Halswirbels eines Azhdarchiden ergab nun neue bemerkenswerte Hinweise!

Lange Zeit wurde die Familie der Azhdarchidae offenbar in falschem Licht gesehen. Ausgehend vor allem von den Überresten des berühmten Quetzalcoatlus und beruhend darauf, dass viele der erhaltenen Halswirbel dieser Gruppe auf eine markante Weise lang gestreckt und fast röhrenartig gebaut waren, stellte man sich diese Gruppe als sehr einheitlich vor: Große bis sehr große Pterosaurier mit langgestreckten Flügeln und langen Hälsen, die große Köpfe mit langen zahnlosen Schnäbeln trugen. Bemerkenswert im Gegensatz zu den meisten anderen Pterosaurierfamilien, die man meistens in randmarinen Sedimenten gefunden hat, stammten die meisten Azhdarchiden-Reste auch noch aus eindeutig terrestrischen Sedimenten. In der Kombination des wenig bekannten Körperbaus mit diesem für Pterosaurier scheinbar ungewöhnlichen Lebensraum blieb die Lebensweise dieser riesigen Flieger rätselhaft. Populär war jahrelang die Vorstellung, es mit einer Art riesigem Gegenstück zu heutigen Geiern zu tun zu haben. In jüngerer Zeit favorisierten verschiedene Pterosaurier-Experten eher ein anderes Bild: Demnach waren Azhdarchiden möglicherweise am Boden jagende Räuber, und dazu trotz ihrer Größe auch am Boden wesentlich agiler als man dies allgemeine mit Pterosauriern in Verbindung bringt.

Nun deutet sich eine weitere Veränderung der Sicht auf diese Tiere an. Die beiden britischen Paläontologen Darren Naish und Mark Witton haben sich einen bereits 2010 erstmals beschriebenen Halswirbel eines Azhdarchiden angeschaut, der aus Schichten der Obersten Kreidezeit in Transsylvanien (Rumänien) stammt. Sie unterzogen den Wirbel mit der Indexnummer EME 315 einem neueren genauen Vergleich mit den entsprechenden Knochen anderer Azhdarchiden, um damit nicht nur die zugehörige Gattung oder Art zu identifizieren, sondern auch die genaue Position des Wirbels in der Halswirbelsäule. Außerdem berechneten die beiden Forscher die Kräfte, die EME 315 aushalten konnte und verglichen dies mit vergleichbaren Berechnungen für andere Halswirbel verschiedener Azhdarchiden. Ihre Ergebnisse lassen sich folgendermaßen zusammenfassen:

Vergleich mit anderen Azhdarchiden. Nach sorgfältigen Vergleichen kommen Naish und Witton zu dem Schluss, dass EME 315 am ehesten der Gattung Hatzegopteryx zugeordnet werden kann. Diese Azhdarchiden-Gattung ist aus dem gleichen Zeitabschnitt und aus der gleichen Region bekannt. Es handelte sich um Tiere, die ähnliche Größen wie der nordamerikanische Quetzalcoatlus erreichten und auch EME 315 fällt in diese Größenkategorie. EME 315 ist vermutlich ein siebter Halswirbel. Ein solcher für Hatzegopteryx bisher zwar nicht überliefert. Doch gibt es eine Gemeinsamkeit zwischen EME 315 und anderen Hatzegopteryx-Überresten: Die Knochenwände sind ungewöhnlich dick für einen Pterosaurier im Allgemeinen und für einen Azhdarchiden im Besonderen. Auffallend ist auch die eher gedrungene Form von EME 315, die aber zum Teil durch seine Position am hinteren Ende der Halswirbelsäule erklärt wird: Auch bei anderen Azhdarchiden gilt die als so typisch angesehene lange, niedrige Röhrenform der Halswirbel vor allem für den vierten und fünften Wirbel in der Mitte der Halswirbelsäule – ein lange vernachlässigter Punkt. Naish & Witton gehen insgesamt aber davon aus, dass Hatzegopteryx in einem Punkt von Tieren wie Quetzalcoatlus abwich: Sein Hals war insgesamt wohl eher kürzer im Verhältnis zum Körper.

Weitere Unterschiede. Bemerkenswert waren die Ergebnisse, als die beiden Forscher verglichen, welche Kräftebelastungen die Halswirbel verschiedener Azhdarchiden aushalten konnten. Damit die Ergebnisse vergleichbar blieben, verglichen sie EME 315 mit anderen Halswirbeln dieser Tiere, die ebenfalls aus dem hinteren Halsbereich stammen. Der Vergleich umfasste sowohl wirklich große wie auch die inzwischen bekannten etwas kleineren Azhdarchiden-Formen (wie z.B. Zhejiangopterus). Es zeigte sich, dass einige Azhdarchiden tatsächlich selbst bei Halswirbeln auf den hinteren Positionen besonders dünne Knochenwände besaßen. Andere dagegen besaßen dickere Knochenwände, wobei EME 315 zu den Spitzenreitern zählt. Und genau diese kräftigeren Wirbel hielten – man ahnt es – nach allen Berechnungen deutlich mehr Kräftebelastungen aus. Dabei stellt sich die Frage nach der Quelle der Belastungen. Zwar leicht gebaute, aber doch verhältnismäßig große Schädel mussten die Hälse aller Azhdarchiden tragen, darin allein konnte sich der Unterschied bei den Halswirbeln nicht begründen.

Die eigentliche Ursache dürfte in doch sehr verschiedenen Lebensweisen begründet sein. Tiere wie Hatzegopteryx bzw. der Besitzer von EME 315 konnten mit ihren kürzeren und kräftigeren Hälsen viel größere Gewichte heben – z.B. größere Beute, die sie mit dem Schnabel gepackt hatten. Daher vermuten Naish & Witten, dass es zwei Formen von am Boden jagenden Azhdarchiden gab: Die bisher als typisch erachteten Vertreter mit dünnerwandigen Halswirbeln und sehr langen Hälsen, die vor allem kleinere Beutetiere jagten. Und die kräftiger gebauten kurzhalsigeren Formen, die auch wesentlich größere Beute jagten, vielleicht sogar kleinere Dinosaurier. Da Hatzegopteryx im Gebiet des heutigen Transsylvanien auf einer Insel ohne andere größere Räuber (soweit bekannt) lebte, wäre er damit dort eine Art Gipfelräuber (Apex-Predator) gewesen. Nicht nur, dass damit die Pterosaurier zum Ende der Kreidezeit anders als bisher gedacht eine wesentlich größere Bandbreite an biologischen Nischen besetzten, ihre Rolle wäre auch wesentlich wichtiger gewesen, als bisher angenommen. Lange wurden Azhdarchiden, die am Ende der Kreide praktisch die einzigen und letzten Pterosaurier waren, als letzte Überlebende einer ohnehin zum Untergang verurteilten Linie angesehen, die auch ohne das Massenaussterben am Ende der Kreide nicht mehr lange überlebt hätten. Mit den hier skizzierten neuen Erkenntnissen muss diese Ansicht vermutlich revidiert werden.

Hatzegopteryx als Jäger kleinerer Dinosaurier.
Das Bild zeigt den großen Pterosaurier Hatzegopteryx als Jäger kleinerer Dinosaurier. Quelle: Naish & Witton 2017.

Artikel
Naish and Witton (2017), Neck biomechanics indicate that giant Transylvanian azhdarchid pterosaurs were short-necked arch predators. PeerJ 5:e2908; DOI 10.7717/peerj.2908

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Pia Gaupels

Gründerin bei GeoHorizon
Pia Gaupels, *86, Bibliotheksinformationsstudium an der TH Köln von 2007-2010. Studiert seit 2014 an der Universität Münster Geowissenschaften. Der Schwerpunkt liegt auf Planetare Geologie und Geoinformationswissenschaften. 2015 gründete Sie die Seite Geohorizon. Sie besitzt ausgeprägte Fähigkeiten in der Bild- und Videobearbeitung und arbeitet seit 2018 wieder als Bibliothekarin.

Über Pia Gaupels

Pia Gaupels, *86, Bibliotheksinformationsstudium an der TH Köln von 2007-2010. Studiert seit 2014 an der Universität Münster Geowissenschaften. Der Schwerpunkt liegt auf Planetare Geologie und Geoinformationswissenschaften. 2015 gründete Sie die Seite Geohorizon. Sie besitzt ausgeprägte Fähigkeiten in der Bild- und Videobearbeitung und arbeitet seit 2018 wieder als Bibliothekarin.

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