Teleocrater: Überraschendes von der Stammlinie der Dinosaurier

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Eigentlich sind die groben Züge des Stammbaums innerhalb der Archosaurier inzwischen gut bekannt. Vor allem ist der Split in die zwei Hauptlinien der Avemetatarsalia (der Dinosaurier-Vogel-Linie) und der Pseudosuchia (oder auch: Crurotarsi; die Krokodil-Linie) allgemein akzeptiert. Was bislang aber nur unzureichend bekannt ist, ist die Stammlinie der Dinosaurier-Linie mit den basalen Verzweigungen der Avemetatarsalia. Die meisten dort einzuordnenden Formen besitzen entweder bereits eigene weitreichende Spezialisierungen oder sind nur bruchstückhaft bekannt. Beides kaschiert ein wenig, was denn nun wirklich der ursprüngliche Zustand dieser erfolgreichen Linie gewesen ist. Eine neue Entdeckung scheint nun etwas Licht ins Dunkel zu bringen und dabei auch Überraschungen parat zu haben. Der Name der neuen Art: Teleocrater rhadinus.

Der neue Fossilfund stammt aus dem südwestlichen Tansania aus dem Lifua-Member der Manda-Schichten. Diese werden in die zeitliche Stufe des Anisiums in der mittleren Trias gestellt und haben damit ein Alter von 247 bis 242 Millionen Jahren vor heute. Man weiß, dass in dieser Zeit entscheidende Schritte der Archosaurier-Evolution stattfanden – nur gut dokumentiert sind sie eher nicht. Umso interessanter nun dieser Fund, der Skelettteile mehrere Individuen umfasst. Ein Individuum wurde als Holotyp ausgewählt, bestehend aus einigen Halswirbelresten, Teilen von Rumpfwirbeln, mehreren Schwanzwirbeln, Vorderbeinknochen, einigen Beckenfragmenten und Hinterbeinknochen. Die anderen Individuen steuerten Halswirbel, Rumpfwirbel, Beckenknochen, Vorderbeinknochen und Handknochen, Fußknochen inklusive Fußgelenkknochen und auch einen Oberkieferknochen bei. Zusammen geben sie einen sehr guten Eindruck von dem Tier. Es lässt sich als schlanken Vierbeiner mit länglichem Hals und einer Gesamtlänge von rund 1,75  m rekonstruieren. Ein gefundener Zahn, klingenförmig mit fein gesägten Schneiden weist es als Fleischfresser aus. Die Forscher tauften diesen sicherlich gewandten Jäger nun Teleocrater rhadinus. Der Gattungsname bedeutet etwa so viel wie „fertige Schüssel“ und bezieht sich auf die voll geschlossene Hüftgelenkspfanne, während der Artname schlicht „schlank“ bedeutet und sich auf den allgemeinen Körperbau bezieht.

TeleocraterRekon

Die Skelettrekonstruktion von Teleocrater rhadinus aus der Erstbeschreibung der Art. Rote Elemente stammen vom eigentlichen Holotyp, blaue Elemente stammen von weiteren Exemplaren, violette Elemente sind sowohl beim Holotyp wie bei den zugeordneten Exemplaren vorhanden. Graue Elemente sind leider nicht erhalten. Der Maßstab ist 25 cm. Quelle: Nesbitt et al. 2017.

Ein Mosaik an Merkmalen. Doch das eigentlich interessante aus Forschersicht sind die ganzen vielen kleinen anatomischen Details, die nicht nur Teleocrater rhadinus in ihrer Kombination als Art definieren, sondern auch ein unerwartetes Mosaik von Merkmalen darstellen, die man teilweise bei frühen Krokodilahnen, teilweise bei Stammlinienvertretern der Archosaurier, teilweise bei Dinosauriern findet. Zum Beispiel ist die voll geschlossene Hüftgelenkspfanne, wichtig für die aufrechte Haltung der Hinterbeine, typisch für die Dinosaurier und ihre Verwandten von den Silesauriden. Andere Merkmale etwa an den Wirbeln und am Schulterblatt verweisen noch auf basalere Archosaurier, während das Vorhandensein von Halsrippen mit drei Gelenkköpfen als Verbindung zum Wirbel und die Proportionen der Beinknochen zueinander eher an die Archosaurierlinie der Pseudosuchier erinnert. Am aller bemerkenswertesten ist aber: Auch die Struktur des Fußgelenks erinnert bei Teleocrater rhadinus eher an das Fußgelenk der Crurotarsi-Linie (also Pseudosuchier und Krokodile). Für dieses ist nämlich ein bewegliches Gelenk zwischen dem Fersenbein (Calcaneum) und dem Sprungbein (Astragalus) typisch. Und dieses Gelenk hat zu einem gewissen Grad auch Teleocrater rhadinus, anders als die meisten anderen Vertreter der Avemetatarsalia.  Zugleich deutet die unter dem Mikroskop untersuchte Knochenhistologie von Teleocrater rhadinus auf ein hohes Stoffwechselniveau hin mit einer hohen Wachstumsrate, wie man es tendenziell eher bei frühen Dinosauriern erwarten würde.

Dieses einzigartige Merkmalsmosaik macht dann auch die phylogenetische Analyse entsprechend spannend: Teleocrater rhadinus entpuppt sich zusammen mit einigen anderen bisher wenig verstandenen Formen – zum Beispiel Spondylosoma absconditum und Yarasuchus deccanensis – als Vertreter der frühesten basalen Abzweigung innerhalb der Avemetatarsalia. Diese sehr basale Linie wurde nun auf den Namen Aphanosauria getauft und soll die Schwestergruppe zu allen anderen Avemetatarsaliern, inklusive den Dinosauriern, darstellen.

Die Bedeutung für das Verständnis der Archosaurier-Evolution. Wenn die Analyse, die der Beschreibung von Teleocrater rhadinus zugrunde liegt, hätte dies einige Folgerungen für das Verständnis der Evolution der frühen Archosaurier, ihrer Aufspaltung in die zwei Linien der Pseudosuchia und der Avemetatarsalia, und auch für das Verständnis der Stammlinie zu den Dinosauriern. Ein besonders wichtiger Punkt ist das Fußgelenk. Bei Dinosauriern verläuft die Gelenkebene zwischen den Fußwurzelknochen (Tarsalia) und den Enden von Schienbein (Tibia) und Wadenbein (Fibula). Dies wurde häufig als der ursprüngliche Zustand für die Avemetatarsalia angesehen. Bei den Pseudosuchiern (inklusive Krokodile) gibt es jedoch ein zusätzliches Element zwischen Fersen-und Sprungbein. Man nahm bisher an, dies wäre der abgeleitete Zustand innerhalb der Archosaurier und würde speziell die Krokodillinie auszeichnen und wäre erst an deren Basis entstanden.  Die Tatsache, dass aber genau diese Gelenkform bei Teleocrater rhadinus, einem der basalsten Vertreter der Avemetatarsalia, vorkommt wirft ein anderes Licht darauf. Die Forscher vermuten nun, dass das „Krokodil-Fußgelenk“ in Wirklichkeit der ursprüngliche Zustand innerhalb der Archosaurier war – und der Verlust des beweglichen Gelenks zwischen Fersen-und Sprungbein bei der Dinosaurierlinie der eigentlich abgeleitete Zustand ist.

Auch andere Fragen werden aufgeworfen. Dass Teleocrater rhadinus einen Stoffwechsel besaß, der offenbar ein schnelles Wachstum zuließ, legt nahe, dass ein solch hohes Stoffwechselniveau nicht erst an der Basis der Dinosaurier entstand, sondern bereits sehr früh innerhalb von deren Stammlinie. Zugleich legt der vierbeinige Fortbewegungsmodus von Teleocrater rhadinus nahe, dass es sich dabei um den ursprünglichen Lokomotionsmodus der Stammlinie der Dinosaurier handelte. Demnach wäre die teilweise oder gänzliche Zweibeinigkeit erst später bei verschiedenen Teillinien der Avemetatarsalia entstanden – etwa bei Marasuchus und eben Dinosauriern. Dazu passt, dass die direkte Schwestergruppe der Dinosaurier, die Silesauriden, auch aus vierbeinigen Tieren besteht. Letztlich führt das alles zu einer Annahme, die auch in dem neuen Paper anklingt: Dass die direkten Vorfahren der Dinosaurier vielleicht eher Vier-statt Zweibeiner waren. Dies stünde fast diametral der Folgerung entgegen, die Baron et al. (2017) in ihrem Paper darlegten – nach Baron et al. sollen die direkten Vorfahren der Dinosaurier kleine Zweibeiner gewesen sein. Dieser Debattenpunkt ist also noch alles andere als beigelegt, zumal in dem Zusammenhang viele auch gern auf die vierbeinigen Jungtiere von basalen Sauropodomorphen hinweisen, obwohl bei deren erwachsenen Exemplaren die zweibeinige Lokomotion noch sehr verbreitet ist. Teleocrater rhadinus löst hier also noch längst nicht alle Rätsel – aber sein Fund beweist sehr eindrucksvoll, dass die Evolution der Archosaurier während der Triaszeit wesentlich komplexer und alles andere als geradlinig verlaufen sein dürfte.

 

Artikel

Nesbitt, S.J., Butler, R.J., Ezcurra, M.D., Barrett, P.M., Stocker, M.R., Angielczyk, K.D., Smith, R.M.H., Sidor, C.A., Niedzwiedzki, G., Sennikov, A.G. & Charig, A.J. (2017), The earliest bird-line archosaurs and the assembly of the dinosaur body plan. Nature. Doi:10.1038/nature22037

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Pia Gaupels

Gründerin bei GeoHorizon
Pia Gaupels, *86, Bibliotheksinformationsstudium an der TH Köln von 2007-2010. Studiert seit 2014 an der Universität Münster Geowissenschaften. Der Schwerpunkt liegt auf Planetare Geologie und Geoinformationswissenschaften. 2015 gründete Sie die Seite Geohorizon. Sie besitzt ausgeprägte Fähigkeiten in der Bild- und Videobearbeitung und arbeitet seit 2018 wieder als Bibliothekarin.

Über Pia Gaupels

Pia Gaupels, *86, Bibliotheksinformationsstudium an der TH Köln von 2007-2010. Studiert seit 2014 an der Universität Münster Geowissenschaften. Der Schwerpunkt liegt auf Planetare Geologie und Geoinformationswissenschaften. 2015 gründete Sie die Seite Geohorizon. Sie besitzt ausgeprägte Fähigkeiten in der Bild- und Videobearbeitung und arbeitet seit 2018 wieder als Bibliothekarin.

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