Troodon: 161 Jahre und immer noch Überraschungen

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Zu den nordamerikanischen Dinosauriern mit einer längeren taxonomischen Odyssee gehört Troodon formosus. Eigentlich hatte man inzwischen gedacht, bei dieser Art alle taxonomischen Fragen geklärt zu haben. Doch nun kam ein Paper heraus, das schon wieder alles umwirft…

Grundlage: Ein Zahn. Man muss für den Hintergrund wissen, dass Troodon formosus ursprünglich nur auf einem Zahn beruhte, der 1856 von Leidy beschrieben wurde. Lange Zeit wurde eher rumfantasiert, zu wem oder was dieser Zahn eigentlich gehörte – Leidys erster Tipp war eine Eidechse, spätere Bearbeiter tippten eher schlechter auf einen Pachycephalosaurier oder eher besser auf einen kleinen Theropoden. Das Problem war, dass lange Zeit keine weiteren Überreste sicher diesem Zahn zugeordnet werden konnten. Erst 1987 gelang Phil Currie die erste allgemein anerkannte Zuordnung von Skelettelementen zu den bislang gefundenen Troodon-Zähnen. Currie konnte zeigen, dass die Zähne von Troodon wahrscheinlich zu einem durch ziemlich unvollständige Skelettreste nur wenig besser bekannten kleinen Theropoden gehören: Stenonychosaurus inequalis. Konsequenterweise synonymisierte Currie beide Arten, zusätzlich auch die bruchstückhaft belegten Taxa Pectinodon und Polyodontosaurus. S. inequalis gehörte zu einer Saurornithoididae genannten Theropodenfamilie, die gut aus der Oberkreide Zentralasiens belegt war und nun zu Troodontidae umbenannt wurde. In der Fachwelt war man so happy darüber, dass Currie das alte Rätsel gelöst hatte, dass man kurzerhand fast alle Troodontiden-Überreste aus der nordamerikanischen Oberkreide formlos zu Troodon formosus stellte. Dadurch bekam diese Art eine geographische Verbreitung von Alaska bis Texas und eine zeitliche Dauer von 15 Millionen Jahren.

Es dauerte bis 2011 bis erstmals der Verdacht geäußert wurde, dass Troodon formosus eigentlich als „nomen dubium“ laufen müsste, weil der Zahn als Holotyp nicht taugt: Nur anhand eines Zahns lassen sich die verschiedenen Troodon-Arten in Nordamerika nicht sicher auseinanderhalten, die Zahnmorphologie wechselt mit Position im Kiefer und Alter leicht und für eine zuverlässige Diagnostik braucht man eigentlich mehr Überreste, die mehr Teile des Skeletts abdecken.

Ein neuer Fund führt zu einer neuen Analyse. Wie so oft war ein neuer Fund nun der Anlass sich die alten Fossilien noch mal anzuschauen. Die neuen Fundstücke stammen aus dem Dinosaur Provincial Park in Alberta (Kanada), genauer gesagt aus der Dinosaur Park Formation aus der Oberen Kreide. Aus dieser sind bereits Funde bekannt, die man zuletzt alle T.formosus zuschrieb. Dies ist insofern ungewöhnlich, als diese Art damit das einzige Taxon wäre, welches in der Dinosaur Park Formation sowohl im oberen wie im unteren Teil vorkommt. Für alle anderen Dinosauriergruppen gilt, dass sich ein Faunenwechsel zwischen den beiden Hälften der Formation abgespielt hat – sowohl für Hadrosaurier wie für Ceratopsier als auch für andere Theropoden. Der Vergleich der neuen Funde – ein gut erhaltener Beckengürtel eines Troodontiden und andere Skelettelemente – mit den bereits bekannten Funden von Troodontiden aus dieser Formation ergab, dass diese Theropoden davon eben nicht ausgenommen sind: Troodontidenreste aus dem oberen Teil der Formation zeigten deutliche Unterschiede zu jenen aus dem unteren Teil. Nicht zuletzt waren die Troodontiden im oberen Teil der Dinosaur Park Formation größer. Die Unterschiede sowohl bei Schädelknochen als auch bei den Beckenknochen waren so deutlich, dass Aaron van der Reest, ein Schüler von Phil Currie, zum Schluss kam, es mit zwei Arten zu tun zu haben, die in dem Gebiet zu unterschiedlichen Zeiten lebten. Außerdem nährte sich sein Verdacht, dass ähnliche Unterschiede auch in den restlichen Troodontidenresten Nordamerikas versteckt sind, sowohl in der räumlichen wie in der zeitlichen Verbreitung.

TroodontidenAlberta

Gegenüberstellung der beiden Troodontiden aus der Dinosaur Park Formation. Oben: Latenivenatrix mcmasterae. Unten: Stenonychosaurus inequalis. In die Lebendumrisse sind die erhaltenen Überreste eingefügt, die zugeordnet werden können. Deren farbliche Markierung gibt an zu welchem Einzelfund sie gehören. Man beachte die Maßstäbe, Latenivenatrix ist deutlich größer.  Quelle: Van der Reest & Currie 2017; neu arrangiert: Stefan Reiss. 

Neue Art und ein Wiedergänger. Van der Reest traf die Entscheidung den Schritt zu gehen und die Überreste auch als unterschiedliche Arten zu beschreiben. Bei den Fossilien aus dem oberen Teil der Dinosaur Park Formation war kein Stück dabei, das schon einmal als Holotyp verwendet worden war. Sie konnten daher als völlig neue Art beschrieben werden: Latenivenatrix mcmasterae. Der Gattungsname lässt sich mit „versteckte Jägerin“ übersetzen, was nicht nur darauf anspielt, dass dieser kleine Theropode ein Lauerjäger gewesen sein könnte, sondern auch darauf, dass Fossilien dieser Art zum Teil schon seit 100 Jahren bekannt, aber nicht als eigene Art erkannt worden waren und deshalb versteckt in verschiedenen Sammlungen lagen. Der Artname ehrt die verstorbene Mutter von van der Reest, dabei ihren Mädchennamen nutzend.

Kniffliger war eigentlich, was mit den anderen Troodontidenresten aus dem unteren Teil der Dinosaur Park Formation taxonomisch zu geschehen hatte. Sie sollten jedenfalls nicht weiter als T. formosus firmieren. Fast schon glücklicherweise befand sich darunter das bruchstückhafte Exemplar, das 1932 als Holotyp für Stenonychosaurus inequalis diente – und so rehabilitiert das Paper von van der Reest und Currie genau diese Art wieder!

So gut sich L. mcmasterae und S.inequalis auch auseinanderhalten lassen, in einem Bereich kann man sie nicht unterscheiden: Über ihre Zähne. Dies untermauert die Sichtweise, dass die Zähne allein nicht genügen, um eine Troodontidenart diagnostisch sicher nachzuweisen. Dies führt direkt zu der Frage, was man nun eigentlich mit T.formosus macht.

Degradierung von Troodon. Unglücklicherweise für die Traditionalisten steht es nun schlecht um die Validität von Troodon formosus. Die Art beruht eben letztlich nur auf einem Zahn aus der Judith-River-Formation in Montana. Schon 2013 zeigte eine Studie mit statistischen Mitteln, dass  Troodontiden-Zähne von dort morphologisch nicht von denen aus der Dinosaur Park Formation unterschieden werden können – egal von welcher der dortigen beiden Arten. Dies unterstreicht wie wenig diagnostisch diese Zähne auf Art-Niveau sind. Damit bleibt dann nur der Schluss: T.formosus ist ein „nomen dubium“ und nicht valide! Für die vielen noch unter diesem Namen laufenden Skelettreste bedeutet das aber auch – sie müssen alle nochmal untersucht, überprüft und neu bewertet werden.

Artikel

Van der Reest, A.J. & Currie, P.J. (2017), Troodontids (Theropoda) from the Dinosaur Park Formation, Alberta, with a description of a unique new taxon: implications for deinonychosaur diversity in North America. Canadian Journal of Earth Sciences 54: 919-935.

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Pia Gaupels

Gründerin bei GeoHorizon
Pia Gaupels, *86, Bibliotheksinformationsstudium an der TH Köln von 2007-2010. Studiert seit 2014 an der Universität Münster Geowissenschaften. Der Schwerpunkt liegt auf Planetare Geologie und Geoinformationswissenschaften. 2015 gründete Sie die Seite Geohorizon. Sie besitzt ausgeprägte Fähigkeiten in der Bild- und Videobearbeitung und arbeitet seit 2018 wieder als Bibliothekarin.

Über Pia Gaupels

Pia Gaupels, *86, Bibliotheksinformationsstudium an der TH Köln von 2007-2010. Studiert seit 2014 an der Universität Münster Geowissenschaften. Der Schwerpunkt liegt auf Planetare Geologie und Geoinformationswissenschaften. 2015 gründete Sie die Seite Geohorizon. Sie besitzt ausgeprägte Fähigkeiten in der Bild- und Videobearbeitung und arbeitet seit 2018 wieder als Bibliothekarin.

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