Der „Köln-Kopf“: ein Pliosaurier, der nicht aus dem Meer kam

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Mit den großen fossilen Meeresreptilien, den Plesiosauriern, Pliosauriern und anderen, verbinden wir ja eigentlich, dass sie…nun ja: im Meer lebten. Dies war jedoch nicht immer der Fall. Es gab auch einige Vertreter, die es ins Brack-oder gar Süßwasser verschlug. Ein lange kaum beachteter Fund aus Deutschland liefert dafür einen neuen Beleg.

Fossil mit Spitzname.  Das Fossil erregte erstmals 2016 Aufmerksamkeit, als das Forscherteam um Sven Sachs auf dem Mosasaurier-Treffen (eine wiederkehrende kleine Fachtagung zu fossilen Meeresreptilien) bereits kurz darüber berichtete. Das Fundstück, lediglich ein unvollständiger Unterkiefer, lag bereits seit mehreren Jahrzehnten im Kölner Institut für Geologie und Mineralogie, mit der Indexnummer GIK 2120. Das ist der Grund, warum das Forscherteam untereinander das Stück den „Köln-Kopf“ nannte.  Eigentlich jedoch stammte das Stück aus Niedersachsen, aus einem der  Steinbrüche am Südrand des Bückeberg-Höhenzuges, in denen der Obernkirchner Sandstein abgebaut wurde. Dort wurde es bereits in den 1960er Jahren geborgen. Wie für diesen Sandstein üblich, hatte sich das originale Knochenmaterial im Zuge der Diagenese weggelöst, so dass man heute nur noch den Abdruck sieht. Dies lässt den Fund zunächst wenig spektakulär erscheinen und macht eine genauere Analyse aufwendiger – in der Vergangenheit konnten entsprechende Fundstücke aus den gleichen Schichten nur näher untersucht werden, indem man dreidimensionale Silikonabdrücke von ihnen machte. Inzwischen jedoch stehen auch andere Mittel zur Verfügung und so entschloss sich das Forscherteam dazu, mittels Photogrammetrie ein digitales Modell von GIK 2120 zu erstellen. Durch dieses Vorgehen konnten wesentliche Details des ungefähr 30 cm langen Unterkieferrestes herausgearbeitet werden.

KölnKopf

Der Kiefer GIK 2120 aus dem Obernkirchner Sandstein. Links das Originalfundstück. Maßstab: 5 cm. Rechts das digitale photogrammetrische Modell. Maßstab: 10 cm. Man beachte, dass das Modell spiegelverkehrt dargestellt ist. Quelle: Sachs et al. 2017; Anordnung durch S.Reiss verändert.

Ein mittelgroßer Plesiosaurier. Durch die photogrammetrische Darstellung konnten verschiedene Details genauer betrachtet werden: Genaue Position von Zahnalveolen, Foramina und die Ausbildung der relativ langen Symphyse zwischen den Kieferästen. Der vordere Teil des Unterkiefers ist durch eine Einkerbung deutlich von den hinteren Bereichen abgesetzt; diese Einkerbung nahm vermutlich beim lebenden Tier einen vergrößerten Fangzahn aus dem Oberkiefer auf. Alle erkennbaren Charakteristika ermöglichten zwar keine Einordnung bis auf Gattungs-oder Artlevel, sehr wohl aber eine sehr sichere Zuordnung zu den Plesiosauriern. Um genau zu sein handelte es sich wahrscheinlich um einen schon etwas größeren Vertreter, der den Pliosauriern glich, also einen der kompakter gebauten Vertreter der Plesiosaurier. Die Forscher schätzen, dass der gesamte Unterkiefer (erhalten ist ja nur der vordere Teil) vermutlich knapp 70 cm lang war.

Diese Zuordnung zu einem großen räuberischen Wasserreptil ist ungewöhnlich, weil die Fundschicht zur Deister-Formation der Bückeberg-Gruppe gehörte. Deren Sandsteine werden in die unterste Kreidezeit datiert (vielleicht etwas älter als 140 Millionen Jahre vor heute) und lagerten sich nicht in marinem Milieu ab, sondern unter den Bedingungen eines größeren Süßwassersees, der in unregelmäßigen Abständen auch Kontakt mit der nahen Küste hatte, was dann zu Brackwasser-Bedingungen führte. In diesem Lebensraum ist mit GIK 2120 nun also ein zumindest mittelgroßer pliosaurierartiges Tier, dessen Kiefermorphologie auf relativ große Beutetiere schließen lässt, nachgewiesen.

Dies mag überraschen, da man die Gruppe normalerweise mit marinen Lebensräumen verbindet. Tatsächlich jedoch erweitert der Fund ein Bild, das man auch schon aus England und andernorts kennt: Immer wieder scheinen einzelne Plesio-und Pliosaurier in Binnengewässer eingewandert zu sein. Ungewöhnlich ist an dem nun beschriebenen Fund eher die Größe. Die meisten Plesiosaurier etwa aus ähnlichen Sedimenten in England blieben von der Masse her kleiner und jagten kleinere Beute. Der ehemalige Besitzer von GIK 2120 dagegen konnte ohne weiteres auch mit anderen großen Süßwasserreptilien wie Krokodilen konkurrieren.

Artikel

Sachs, S., Hornung, J.J., Lallensack, J.N. & Kear, B.P. (2017), First evidence of a large predatory plesiosaurian from the Lower Cretaceous non-marine ‘Wealden facies’ deposits of northwestern Germany. Alcheringa: An Australasian Journal of Palaeontology. Doi:10.1080/03115518.2017.1373150  

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Pia Gaupels

Gründerin bei GeoHorizon
Pia Gaupels, *86, Bibliotheksinformationsstudium an der TH Köln von 2007-2010. Studiert seit 2014 an der Universität Münster Geowissenschaften. Der Schwerpunkt liegt auf Planetare Geologie und Geoinformationswissenschaften. 2015 gründete Sie die Seite Geohorizon. Sie besitzt ausgeprägte Fähigkeiten in der Bild- und Videobearbeitung und arbeitet seit 2018 wieder als Bibliothekarin.

Über Pia Gaupels

Pia Gaupels, *86, Bibliotheksinformationsstudium an der TH Köln von 2007-2010. Studiert seit 2014 an der Universität Münster Geowissenschaften. Der Schwerpunkt liegt auf Planetare Geologie und Geoinformationswissenschaften. 2015 gründete Sie die Seite Geohorizon. Sie besitzt ausgeprägte Fähigkeiten in der Bild- und Videobearbeitung und arbeitet seit 2018 wieder als Bibliothekarin.

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