Mystriosaurus: Rückkehr eines mysteriösen Meereskrokodils

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Während der Epoche des frühen Jura lebten verschiedene Arten von Meereskrokodilen in den tropischen Flachmeeren Europas. Paläontologen aus Deutschland und Großbritannien haben sich nun nochmal einige der Fossilien angesehen, die zum Teil schon vor 250 Jahren gefunden wurden. Selbst Goethe sollte der Forschungsgeschichte eine Rolle spielen.

Ein internationales Team von Wissenschaftlern aus Deutschland und Großbritannien hat die 180 Millionen alten Überreste eines ausgestorbenen Meereskrokodils untersucht, die in Süddeutschland und Yorkshire (England) gefunden wurden.

Bei einem dieser Fossilien handelt es sich um einen geschichtsträchtigen Schädel, der vor knapp 250 Jahren im bayerischen Altdorf bei Nürnberg gefunden wurde. Selbst Johann Wolfgang von Goethe sollte eine Rolle bei dem Werdegang des Fossils spielen. Goethe, der nicht nur Dichter und Schriftsteller, sondern auch ein begnadeter Naturalist war, hatte vor, das Fossil für seine eigene Sammlung zu erwerben, wurde aber schließlich von seinem Freund Johann Friedrich Merck überboten, just nachdem Goethe selbst Merck von dem Fund erzählte. Dieses Fossil ist eines der ältesten Sammlungsstücke der Erd- und Lebensgeschichte des Hessischen Landesmuseums Darmstadt.

Die ausgestorbene Krokodilart, zu der der Schädel gehörte, wurde im Jahre 1834 von Johann Jakob Kaup aus Darmstadt schließlich Mystriosaurus laurillardi getauft. War der Name Mystriosaurus die kommenden Jahrzehnte nach seiner Entdeckung in der Fachwelt noch geläufig, war man vor allem während der vergangenen 60 Jahre der Ansicht, dass es sich bei Mystriosaurus um das gleiche Tier wie den schon vorher bekannten Steneosaurus bollensis handelt. Auch Steneosaurus bollensis war ein ausgestorbenes Meereskrokodil aus der Epoche des frühen Juras, das in weiten Teilen Europas gefunden wurde, darunter auch zahlreich in den Posidonienschiefern von Holzmaden (Baden-Württemberg).

Beim Untersuchen der Meereskrokodilfossilien des Unterjura konnten die Wissenschaftler jetzt allerdings herausfinden, dass es sich bei Mystriosaurus laurillardi wirklich um eine eigenständige Art handelte. Die Ergebnisse der Studie wurden kürzlich im internationalen Fachjournal Acta Palaeontologica Polonica veröffentlicht.

Wie sich herausstellen sollte, war Mystriosaurus dabei nicht nur auf den bayerischen Schädel beschränkt, der Goethe vor der Nase weggeschnappt wurde. Auch ein wunderschön erhaltener Schädel, der im 19. Jahrhundert im englischen Whitby gefunden wurde, gehört zu Mystriosaurus. Nun im Naturhistorischen Museum von London wurde der Schädel einst einer weiteren Steneosaurus-Art zugeordnet: Steneosaurus brevior. Wie die Paläontologen aber zeigen konnten, handelt es sich bei diesem Steneosaurus tatsächlich um einen weiteren Mystriosaurus.

Die beiden bekannten Schädel von Mystriosaurus laurillardi. Oben: das erste Exemplar aus Altdorf bei Nürnberg. Unten: der Schädel aus Whitby, ehemals Steneosaurus brevior. Bild Sachs et al. (2019).

Mystriosaurus sah aus wie ein heutiger Gavial“, sagt Sven Sachs vom Naturkunde-Museum Bielefeld, der Hauptautor der Studie, „aber er hatte eine kürzere Schnauze, bei der die Atemöffnungen nach vorne gerichtet waren. Dagegen befinden sich bei fast allen anderen fossilen und noch lebenden Krokodilen die Atemöffnungen auf der Oberseite der Schnauze.“

Auch seine Lebensweise unterschied sich vom heutigen Gavialen, die vorrangig in Flüssen und anderen Süßgewässern leben. So berichtet Koautor und GeoHorizon-Teammitglied Pascal Abel vom Senckenberg Center in Tübigen: „Mystriosaurus lebte in einem tropischen Flachmeer mit lebensfeindlichen Bedingungen auf dem Meeresgrund, denen wir wiederum die wunderschöne Erhaltung der Fossilien zu verdanken haben.” Dort teilte sich Mystriosaurus seinen Lebensraum mit Ammoniten, großwüchsigen Seelilien, riesigen Fischsauriern und vielen anderen Meeresbewohnern des Unterjuras. Auch Sachs Koautorin Michela Johnson von der Universität in Edinburgh fügt hinzu: „Dass wir Fossilien von Mystriosaurus sowohl in Deutschland als auch Großbritannien finden können zeigt, dass diese Art problemlos zwischen den damaligen europäischen Inseln wandern konnte, recht ähnlich wie es die heutigen Salzwasserkrokodile in Ozeanien und Südostasien tun.”

Schädelrekonstruktion von Mystriosaurus. Bild Julia Beier.

Der etwa vier Meter lange Mystriosaurus laurillardi war dabei nur eine von mehreren Arten von Meereskrokodilen aus dem Unterjuras Europas. So fasst Dr Mark Young, ebenfalls von der Universität Edinburgh zusammen: „Das Aufschlüsseln der komplexen Anatomie und Geschichte von Arten wie Mystriosaurus ist notwendig, wenn wir die Vielfalt der jurassischen Krokodile wirklich verstehen wollen. Besonders der rapide Anstieg ihrer Biodiversität während des frühen Juras ist immer noch nicht verstanden.”


Veröffentlichung: Sachs, S., Johnson, M.M., Young, M.T., and Abel, P. 2019. The mystery of Mystriosaurus: Redescribing the poorly known Early Jurassic teleosauroid thalattosuchians Mystriosaurus laurillardi and Steneosaurus brevior. Acta Palaeontologica Polonica 64 (3): 565–579. DOI: 10.4202/app.00557.2018

Quelle: off. PM des Hessischen Landesmuseums Darmstadt, Website von Sven Sachs.

Titelbildunterschrift: Lebendrekonstruktion von Mystriosaurus laurillardi. Illustration: Julia Beier (Hamburg).


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Pia Gaupels

Gründerin bei GeoHorizon
Pia Gaupels, *86, Bibliotheksinformationsstudium an der TH Köln von 2007-2010. Studiert seit 2014 an der Universität Münster Geowissenschaften. Der Schwerpunkt liegt auf Planetare Geologie und Geoinformationswissenschaften. 2015 gründete Sie die Seite Geohorizon. Sie besitzt ausgeprägte Fähigkeiten in der Bild- und Videobearbeitung und arbeitet seit 2018 wieder als Bibliothekarin.

Über Pia Gaupels

Pia Gaupels, *86, Bibliotheksinformationsstudium an der TH Köln von 2007-2010. Studiert seit 2014 an der Universität Münster Geowissenschaften. Der Schwerpunkt liegt auf Planetare Geologie und Geoinformationswissenschaften. 2015 gründete Sie die Seite Geohorizon. Sie besitzt ausgeprägte Fähigkeiten in der Bild- und Videobearbeitung und arbeitet seit 2018 wieder als Bibliothekarin.

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