Ein mesozoisches Vogelhaus

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Microraptor gleitet durch die Baumkronen.
Abbildung: Todd Marshall

Das Mesozoikum (252-66 Millionen Jahre vor heute) muss ein regelrechtes Vogelhaus voller Dinosaurier gewesen sein, die damit experimentierten, sich auf verschiedenste Art und Weise durch die Lüfte zu bewegen. Die Evolution der Vögel, ausgehend von einer Gruppe kleiner Dinosaurier, vor 170 bis 150 Millionen Jahren, stellt ein Paradebeispiel eines großen evolutiven Wandels für die fossile Überlieferung dar. Doch noch immer gibt es viele offene und ungeklärte Fragen zur Evolution des Fluges, zur Eroberung des Luftraums und zum Wandel vom Dinosaurier zum modernen Vogel. Der Artikel von Stephen L. Brusatte (School of GeoSciences, University of Edinburgh), erschienen im Februar 2017 in Science (Vol. 355, Issue 6327) fasst den aktuellen Stand der Forschung zu diesem Thema zusammen und gibt einen kurzen Ausblick auf die Zukunft der diesbezüglichen Forschung.

 

Die Errungenschaft des Flugs aus eigenem Antrieb – via Schubkraft durch Flügelschlag – wird weitgehend als langer Weg angesehen, in der natürliche Selektion  stufenweise zur Entwicklung einer Subgruppe Dinosaurier zu Luftakrobaten führte.
Neueste Forschungsergebnisse zeigen jedoch, bekräftigt durch biomechanische Forschungen, dass die Entwicklung des Flugs regelrecht eine chaotische Angelegenheit gewesen sein muss, in der verschiedene Dinosaurier mit andersartigen Techniken der Luftübertragung experimentierten, indem sie unterschiedliche aerodynamische Profile oder Federanordnungen entwickelten, bis ausschließlich moderne Vögel überlebten.

Die wachsenden Kenntnisse über den Übergang zwischen Dinosaurier und Vogel rühren von  zahlreichen Fossilien der frühen Vögel und ihren Dinosaurierverwandten her, darunter tausende bemerkenswerte Exemplare aus China mit exquisit-detailierten Federn und anderen zarten Geweben. Wenn man diese Fossilien zusammen in einem Kladogramm (paläontologischer Stammbaum) anordnet, fällt ins Auge, dass sich viele anatomische Komponenten des Flugapparates  zwar stückchenweise über einen Zeitraum von zehn Millionen Jahren herausbildeten, aber  nicht ursprünglich zum Fliegen entwickelt wurden.

Die Entwicklung vom Flügel zum Flug.
(Abbildung: N. Cary / Science)

Als in den 1990er Jahren die ersten dieser Fossilien in China entdeckt wurden, zeigte sich etwas sehr Unerwartetes: Viele Theropoden hatten Flügel ganz unterschiedlicher Form und Größe und viele Dinosaurier des Taxons Paraves, die eng mit Vögeln verwandt sind, hatten Flügel an Armen und Beinen, so z.B. Microraptor. Außerdem traten Flügel schon viel früher an primitiveren, schaf- bis pferdegroßen Theropoden auf, die weithin als viel zu groß zum Fliegen gelten. Im Jahr 2014 warfen Foth et al. die kontroverse These auf, dass Flügel ursprünglich nur als Balzmerkmale dienten und später zu Tragflügeln umfunktioniert wurden.
Doch wie kann diese Hypothese verifiziert oder falsifiziert werden?
Ein Anhaltspunkt sind Strukturen, die Pigmente enthalten, sogenannte Melanosome, die man mithilfe hochauflösender Mikroskopie entdecken konnte, was zeigte, dass die Flügel von Theropoden verschiedenste Farben zeigen konnten, was den Schluss nahelegt, dass die Flügel zur Dekoration dienten, ein Beweis, dass sie nur dazu dienten, ist dies aber noch lange nicht.
Sogar das wesentliche vogelartige Merkmal – die Federn, anfangs als haarähnliche Filamente ausgeprägt- wurde ursprünglich nicht für den Flug entworfen, sondern als Wärmedämmung oder diente als Tarnung des Körpers. Die überragende Entdeckung von Xing et al. Ende 2016 (GeoHorizon berichtete), ein Dinosaurierschwanz konserviert in Bernstein, liefert einen ersten Eindruck von der dreidimensionalen Struktur dieser Feder-Prototypen: Sie waren weich, biegsam und systematisch angeordnet. Später entwickelten sich diese Filamente bei carnivoren Theropoden zu verzweigten Kiel-artigen Konturfedern, die auch die Flügel der rezenten Vögel formen.
Weiterhin unbekannt ist zudem, welche Dinosaurier tatsächlich fliegen konnten. Um dies zu beantworten sind biomechanische Studien erforderlich, um zu testen, welche Konfiguration aus Flügeln und Federn Flugaktivitäten – seien es Flug aus eigenem Antrieb, Flattern, Gleiten oder andere luftgetragene Verhaltensweisen – ermöglichte. Die meisten dieser Studien konzentrieren sich bisher auf den vierflügeligen Microraptor, bei dem mittels mathematischen und physikalischen Modellversuchen bewiesen werden konnte, dass er ein fähiger Gleiter war, doch es ist essentiell noch mehr über die anderen geflügelten Dinosaurier zu erfahren, um die Entstehung des Flugs vollständig zu entschlüsseln und zu verstehen.
Ein Schritt in die richtige Richtung ist eine Studie von Dececchi et al. aus dem letzten Jahr: Die Autoren erstellten diverse mathematische Modelle, um zu prognostizieren, ob Dinosaurier mit verschiedenen Flügeln und frühe Vögel sich dem Flügelschlag moderner Vogelarten bedienen konnten. Die Erkenntnis  aus ihren Modellversuchen ist, dass nur wenige Theropoden des Taxons Paraves die entsprechende Flügelgröße oder Konfiguration aufwiesen, um aus eigenem Antrieb zu fliegen, die restlichen Dinosaurier hingegen nicht. Außerdem fanden die Wissenschaftler heraus, dass sich keine stufenlose Entwicklung bezüglich des Verhaltens in der Luft seit erstmaligem Auftreten von Flügel abspielte, was die Hypothese, dass Flügel anfangs nicht zum Fliegen gedacht waren, bekräftigt. Erst später begann die Selektion zugunsten von Körperbau und Körpermerkmalen, die das Fliegen ermöglichen sollten. Auch konnte gezeigt werden, dass der gemeinsame Vorfahre der Paraves und Vögel kein Flatterer, der abheben konnte, war. Zusammen mit den vielen morphologischen Unterschieden zwischen geflügelten Paraves und frühen Vögeln legt dies den Schluss nahe, dass der Flug aus eigenem Antrieb keine einzigartige Innovation der Abstammungslinie, die zu den modernen Vögeln führte, war, sondern vielmehr eine Verhaltensweise, die diverse Gruppen gefiederter, kleiner und geflügelte Paraves unabhängig voneinander erreichten.
Verstärkt wird diese Annahme durch die Entdeckung eines kleinen Theropoden, genannt Yi qi,  durch Xu et al. im Jahre 2015, der ähnlich einer Fledermaus eine Hautmembrane zwischen den Fingern und dem Körper hatte, alle anderen Dinosaurier mit Flügeln hatten hingegen Konturfedern. Es erscheint naheliegend, dass die Hautmembrane von Yi qi einen Tragflügel zum Gleiten darstellt, da das Tier vielleicht nicht die entsprechende Flügelflexibilität zum Flattern hatte. Die ungewöhnliche Konstruktion der Flügel von Yi qi ist der hervorstechende Beweis, dass sich verschiedene Formen des Flugs in diversen Gruppen unabhängig voneinander entwickelten.

Es wird noch viel Arbeit, diese aufregende Periode der Evolution, in der der Umbruch zur Eroberung des Luftraums stattfand, vollständig zu verstehen. Mathematische Modelle sind ein guter Anfang, doch der endgültige Durchbruch wird erst mit hochentwickelten anatomischen Modellen der frühen Vögel und ihren nahen Dinosaurierverwandten gelingen: Physische Modelle, die man im Windtunnel erproben kann, und digitale Modelle, die man mit Computern analysiert, sind der nächste Schritt. Die Verbindung von Paläontologie mit den Ingenieurwissenschaften wird ein klares Bild, zu  welchen Verhaltensweisen in der Luft die Dinosaurier letztendlich fähig waren, schaffen und zeigen, inwieweit die Fähigkeit moderner Vögel zum Flug aus eigenem Antrieb von der großartigen Anatomie und der komplexen Verhaltensweise ihrer ausgestorbenen Dinosaurierverwandschaft herrührt.

Quelle: Science 24 Feb 2017

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Pia Gaupels

Gründerin bei GeoHorizon
Pia Gaupels, *86, Bibliotheksinformationsstudium an der TH Köln von 2007-2010. Studiert seit 2014 an der Universität Münster Geowissenschaften. Der Schwerpunkt liegt auf Planetare Geologie und Geoinformationswissenschaften. 2015 gründete Sie die Seite Geohorizon. Sie besitzt ausgeprägte Fähigkeiten in der Bild- und Videobearbeitung und arbeitet seit 2018 wieder als Bibliothekarin.

Über Pia Gaupels

Pia Gaupels, *86, Bibliotheksinformationsstudium an der TH Köln von 2007-2010. Studiert seit 2014 an der Universität Münster Geowissenschaften. Der Schwerpunkt liegt auf Planetare Geologie und Geoinformationswissenschaften. 2015 gründete Sie die Seite Geohorizon. Sie besitzt ausgeprägte Fähigkeiten in der Bild- und Videobearbeitung und arbeitet seit 2018 wieder als Bibliothekarin.

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