Ein internationales Forschungsteam hat in der Tongrube Hammerschmiede im Ostallgäu eine weitere bisher unbekannte Menschenaffenart entdeckt. Buronius manfredschmidi wurde in unmittelbarer Nähe zu dem Menschenaffen Danuvius guggenmosi, genannt „Udo“, geborgen. Dieser zeigte als erster Menschenaffe bereits vor rund 12 Millionen Jahren Anpassungen an den aufrechten Gang und hatte die Grabungsstätte zwischen Pforzen und Kaufbeuren im Jahr 2019 weltbekannt gemacht. Sein Zeitgenosse Buronius war kleiner als Udo, lebte vermutlich auf Bäumen und ernährte sich vegetarisch. Der Fund zeigt, dass die Diversität und Ökologie europäischer Menschenaffen in vergangenen Jahrmillionen höher und komplexer waren als bisher bekannt.
An der Studie, die am 7. Juni im Fachmagazin PlosOne erschien, waren Professorin Madelaine Böhme und ihr Team vom Senckenberg Centre for Human Evolution and Palaeoenvironment an der Universität Tübingen sowie Professor David Begun und weitere Wissenschaftler der Universität Toronto (Kanada) beteiligt.
Entdeckt wurden die Fossilien von Buronius – zwei Zähne und eine Kniescheibe – bereits vor einigen Jahren nahe den Funden von Danuvius in einem 11,6 Millionen Jahre alten Bachsediment. „Die Ablagerungsbedingungen lassen den Schluss zu, dass beide Menschenaffen zur gleichen Zeit dasselbe Ökosystem besiedelten“, sagt Thomas Lechner, Grabungsleiter in der Hammerschmiede.
Die Größe der Fossilien zeigt, dass Buronius nur etwa 10 Kilogramm schwer war. Er war damit deutlich kleiner als alle lebenden Menschenaffen, die zwischen 30 Kilo (Bonobo) und über 200 Kilo (Gorilla) erreichen, und auch kleiner als Danuvius, der 15 bis 46 Kilogramm wog. Das Körpergewicht von Buronius ist am ehesten vergleichbar mit den Siamangs, Verwandten der Gibbons aus Südostasien.
„Die Kniescheibe von Buronius ist dicker und asymmetrischer als bei Danuvius“, ergänzt Böhme. Dies könne mit Unterschieden in der Oberschenkelmuskulatur erklärt werden. Möglicherweise war Buronius besser an das Klettern in Bäumen angepasst.
Buronius war Blattfresser und Danuvius Allesfresser
Die Untersuchung des Zahnschmelzes beider Menschenaffen aus der Hammerschmiede eröffnet Einblicke in ihre Lebensweise: Bei Primaten ist die Dicke des Zahnschmelzes eng mit ihrer Ernährung verknüpft. Sehr dünner Zahnschmelz, wie ihn zum Beispiel Gorillas besitzen, weist auf eine faserreiche vegetarische Ernährung hin. Ein dicker Zahnschmelz, wie er bei Menschen vorkommt, ist Hinweis auf harte und zähe Nahrung und einen Allesfresser mit hohen Beißkräften.
„Die Schmelzdicke bei Buronius ist so gering wie bei keinem anderen Menschenaffen Europas und vergleichbar mit Gorillas. Der Zahnschmelz von Danuvius hingegen ist dicker als der aller verwandten ausgestorbenen Arten und erreicht fast die Stärke menschlichen Zahnschmelzes“, sagt Böhme. Die unterschiedliche Schmelzdicke korrespondiert wiederum mit der Form der Kauflächen. Der Schmelz ist bei Buronius glatter und mit stärkeren Scherkanten versehen; der von Danuvius ist gekerbt und hat stumpfe Zahnhöcker. „Dies zeigt, dass Buronius ein Blattfresser war und Danuvius ein Allesfresser.“
Wie sich Buronius und Danuvius den Lebensraum teilten
Leben zwei Arten im gleichen Lebensraum (genannt Syntopie), müssen sie auf unterschiedliche Ressourcen zurückgreifen, um Konkurrenz zu vermeiden. Der Fundkontext der Hammerschmiede-Fossilien belegt erstmals für Europa Syntopie bei Menschenaffen. Es sei wahrscheinlich, dass der kleine blattfressende Buronius sich länger in den Baumkronen und auf Ästen aufhielt, sagen die Autorinnen und Autoren. Der mehr als doppelt so große, zur Zweibeinigkeit befähigte Danuvius durchstreifte hingegen vermutlich ein größeres Gebiet, um vielfältigere Nahrungsressourcen zu finden. Dies sei mit der heutigen Syntopie von Gibbon und Orang-Utan auf Borneo und Sumatra vergleichbar: Während Orang-Utans auf Futtersuche umherstreifen, halten sich die kleinen fruchtfressenden Gibbons in Baumwipfeln auf.
Namensgeber für Buronius
In der ehemaligen Ziegelei „Hammerschmiede“ entdeckte in den späten 1970er Jahren der Zahnarzt Manfred Schmid aus Marktoberdorf zusammen mit dem (inzwischen verstorbenen) Hobbyarchäologen Sigulf Guggenmos wertvolle Fossilien. Zu Ehren von Manfred Schmid trägt die neue Menschenaffenart den Namen Buronius manfredschmidi. Der Name Buronius leitet sich vom mittelalterlichen Namen der Stadt Kaufbeuren – Buron ab.
Die Hammerschmiede
In der Grube führen die Universität Tübingen und das Senckenberg Centre for Human Evolution and Palaeoenvironment seit 2011 wissenschaftliche Grabungen unter Leitung von Prof. Dr. Madelaine Böhme durch. Seit 2017 finden diese auch als Bürgergrabungen in einem Citizen Science-Projekt statt und werden seit 2020 finanziell vom Freistaat Bayern unterstützt. Rund 40.000 Fossilien von 150 Wirbeltier-Arten konnten bisher geborgen werden, darunter neben den beiden Menschenaffen auch weitere für die Wissenschaft neue Säugetierarten.
Veröffentlichungen: Madelaine Böhme, David R. Begun, Andrew C. Holmes, Thomas Lechner & Gabriel Fer-reira. Buronius manfredschmidi – A new small hominid from the early late Miocene of Hammerschmiede (Bavaria, Germany). PlosOne, DOI: https://doi.org/10.1371/journal.pone.0301002
Titelbildunterschrift: Zahn-Nahaufnahme von Buronius manfredschmidi (Quelle: Eberhard Karls Universität Tübingen)
Quelle: off. Pm der Eberhard Karls Universität Tübingen
Pia Gaupels
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