Flugsaurier Scaphognathus ist Fossil des Jahres 2021

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Die Paläontologische Gesellschaft hat den Flugsaurier Scaphognathus crassirostris zum Fossil des Jahres 2021 gewählt. Das Fossil stammt aus den 150 Millionen Jahre alten Plattenkalken Süddeutschlands. Mit ihm begann eine Entwicklung, die Saurier heute allgemein bekannt macht.

Der Bonner Professor für Zoologie und Paläontologie Georg August Goldfuß (1782-1848) wies an diesem Fossil als erster die Behaarung der Flugsaurier nach. Dann ließ der mutige Pionier der Paläontologie anhand dieses Skeletts eine revolutionäre Zeichnung anfertigen. Sie war eine der ersten, die ein lange ausgestorbenes Tier lebendig und in seinem Lebensraum darstellte. Aber niemand zuvor hatte gewagt, solche Kunstwerke wissenschaftlich zu veröffentlichen und die eigene Lebendrekonstruktion genau zu begründen. Dennoch fügte Goldfuß die Zeichnung seiner Beschreibung des Flugsauriers 1831 bei.

Das Skelett der Erstbeschreibung stellte Georg August Goldfuß im Naturkundemuseum der Universität Bonn aus. Die Fossiliensammlung dieses Museums trägt heute seinen Namen und feiert als Goldfuß-Museum ihr 200-jähriges Bestehen, sie eröffnete nämlich mit Beginn des Sommersemesters 1821. Zu diesem Anlass präsentiert sich das Fossil nach mehreren Ausleihen erstmals wieder in der Ausstellung. Von dieser seltenen Flugsaurier-Art kennt die Wissenschaft nur drei Exemplare. Sie stammen aus den lithographischen Schiefern des Oberjura auf der Fränkischen Alb, nämlich aus der Gegend um Solnhofen und Eichstätt. Weitere Originalfossilien dieser Art werden im Museum am Löwentor in Stuttgart sowie im Fossilien- und Steindruck-Museum in Gunzenhausen aufbewahrt. Abgüsse des Bonner Exemplars versendete Goldfuß schon im 19. Jahrhundert an zahlreiche Museen in Europa. Selbst im University Museum in Oxford und im Texas Memorial Museum in Austin sind Abgüsse dieses Stücks Teil der Dauerausstellung.Scaphognathus kommt aus denselben Fundschichten wie der Urvogel Archaeopteryx(Fossil des Jahres 2020). Er gehört noch zu den Langschwanz-Flugsauriern, die wenig später ausstarben, während Vögel und kurzschwänzige Flugsaurier sich ausbreiteten.

Goldfuß hatte das Skelett eingehend untersucht, nachdem er es selbst präpariert hatte. Er entdeckte bei der Versteinerung eine Art Behaarung und beschrieb, wie sehr sich der ausgestorbene Körperbau von allen heutigen Tieren unterschied. Trotzdem entwickelte er eine Vorstellung von der Lebensweise des Flugsauriers als aktivem Flieger. Er ließ den Universitäts-Zeichenlehrer Christian Hohe das Tier in mehreren Lithographien darstellen und die Drucke aufwändig von Hand colorieren. Die Abbildung von zwei lebenden Scaphognathus-Exemplaren mit Haut und Haar im Flug und an einer Klippe brachte Goldfuß‘ Annahmen von der Lebensweise des Tieres eindrucksvoll zur Geltung. Von da an begann die Forschung Abbilder von lebendigen Sauriern ernst zu nehmen und wissenschaftlich zu nutzen. Rekonstruktionen von Fossilien als lebende Organismen sind heute als sogenannte „Paläo-Art“ in der Forschung und in vielen Medien verbreitet. Sie begeistern zahlreiche Menschen und haben stark zur Verbreitung von Forschungswissen über Fossilien beigetragen.

Fotografie des Bonner Scaphognathus (Foto: Georg Oleschinski, Bonn)

Scaphognathuscrassirostris war der erste Flugsaurier, bei dem eine Art Behaarung festgestellt wurde. Goldfuß beschrieb sie schon 1831 im Nackenbereich und auf der Flughaut. Das waren aber keine Haare, wie wir sie haben, weshalb die aktuelle Forschung sie „Pycnofasern“ nennt. Nachdem Goldfuß’ ZeitgenossInnen seine Beschreibung einer Art Mähne an dem Fossil akzeptierten, zweifelten PaläontologInnen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts jedoch seine Erkenntnisse vehement als unwissenschaftlich an.Neue Methoden der digitalen Fotografie und Aufnahmen unter UV-Licht machten 2018 eine Neuuntersuchung möglich. Am Bonner Fossil ließen sich eindeutig Weichteilerhaltung und Pycnofasern nachweisen.Die Körperbedeckung deutet darauf hin, dass die Flugsaurier genau wie Vögel und Säugetiere Warmblüter waren. Das passt ins Bild, denn Flugsaurier wie Scaphognathus waren die ersten aktiven Flieger unter den Wirbeltieren und die genannten heutigen Gruppen sind Warmblüter. Anders als die Vögel flogen sie dabei nicht mit Federn, sondern hoben sich mit Flughäuten in die Luft, ähnlich den heutigen Fledermäusen. Auf dem Exemplar in Bonn sind Überreste der Flughaut bis ins kleinste Detail erhalten. Dass sich der aktive Flug bei Flugsauriern, Fledermäusen und Vögeln ohne engere Verwandtschaft unabhängig entwickelt hat, ist ein Paradebeispiel für konvergente Evolution.

Für einen Flugsaurier seiner Spannweite hat Scaphognathus crassirostris einen besonders großen Schädel mit starken Kiefern. Daher rührt auch sein Name, der „Dickschnabel“ bedeutet. Mit seinen robusten Kiefern jagte er wahrscheinlich Fische und Insekten. All diese noch heute gültigen Erkenntnisse sind schon bei Goldfuß nachzulesen, mit Ausnahme der Warmblütigkeit, die er aber bereits andeutete.

Ausführliche Informationen finden Sie auf der Seite der Paläontologischen Gesellschaft.


Quelle: off. Pm des Dachverband der Geowissenschaften (DVGeo) e.V.

Titelbildunterschrift: UV-Licht zeigt die Weichteilerhaltung als hellgrünen Schimmer, Jäger et al. 2018, Palaeontology



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Pia Gaupels

Gründerin bei GeoHorizon
Pia Gaupels, *86, Bibliotheksinformationsstudium an der TH Köln von 2007-2010. Studiert seit 2014 an der Universität Münster Geowissenschaften. Der Schwerpunkt liegt auf Planetare Geologie und Geoinformationswissenschaften. 2015 gründete Sie die Seite Geohorizon. Sie besitzt ausgeprägte Fähigkeiten in der Bild- und Videobearbeitung und arbeitet seit 2018 wieder als Bibliothekarin.

Über Pia Gaupels

Pia Gaupels, *86, Bibliotheksinformationsstudium an der TH Köln von 2007-2010. Studiert seit 2014 an der Universität Münster Geowissenschaften. Der Schwerpunkt liegt auf Planetare Geologie und Geoinformationswissenschaften. 2015 gründete Sie die Seite Geohorizon. Sie besitzt ausgeprägte Fähigkeiten in der Bild- und Videobearbeitung und arbeitet seit 2018 wieder als Bibliothekarin.

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