Inselzwerge und ihre Innenohren: Dinosaurier aus Niedersachsen war vermutlich Nestflüchter

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Wie sein weltberühmter Verwandter Brachiosaurus war Europasaurus holgeri ein langhalsiger, pflanzenfressender Dinosaurier auf vier Beinen. Beide gehören zur Gruppe der Sauropoden und lebten in der Jurazeit. Doch anders als sein riesiger, ungefähr 15 m hoher Verwandter (heutige Giraffen werden etwa 5 m hoch) aus Nordamerika, gilt Europasaurus aus Niedersachsen mit einer Kopfhöhe von nur etwa 3 m als erster fossiler Dinosaurier, bei dem wissenschaftlich das evolutionsbiologische Phänomen der Inselverzwergung nachgewiesen wurde. Die Spezies lebte vor 154 Millionen Jahren auf einer Insel im heutigen Norddeutschland und ist bisher nur aus einer einzigen Fundstelle bekannt.

Jetzt haben Forscher der Universitäten in Greifswald und Wien die Schädelreste von verschiedenen Europasaurus-Individuen mit hochauflösenden Computertomographen untersucht. Der kleine Gigant war für die Forscher der ideale Kandidat für ihre Untersuchungen, denn von kaum einem anderen Sauropoden weltweit ist mehr Schädelmaterial aus verschiedenen Altersstadien bekannt. Die Studie ist bei eLife erschienen und legt unter anderem nah, dass die Art ein Nestflüchter war.

Für die veröffentlichten Ergebnisse untersuchten Marco Schade von der Universität Greifswald und seine Kollegen fossile Hirnschädel von Europasaurus, die zu unterschiedlich alten Individuen gehören: von sehr jungen und kleinen bis hin zu ausgewachsenen Tieren. Um mehr über die Lebensweise von Europasaurus in Erfahrung zu bringen, rekonstruierten die Wissenschaftler erstmals die Hohlräume, die einst das Gehirn und die Innenohren dieser längst ausgestorbenen Tiere beherbergten.

Europasaurus holgeri, 3D-Modell der linken endossalen Labyrinthregion in DFMMh/FV 1077 mit transparenter (A) und abdeckender (B) Volumendarstellung der knöchernen Hirnschale in medialer Ansicht. asc, vorderer Canalis semicircularis anterior; cc, Crus communis; cd, Ductus cochlearis; fp, fenestra pseudorotunda; lsc, lateraler Canalis semicircularis; macc, medialer Aspekt des Crus communis; psc, hinterer Bogengang; rst, Recessus scalae tympani; V, Öffnung des Nervus trigeminus; VII, Gesichtsnerv; VIIIa/b, beide Äste des Nervus vestibulocochlearis; XII, Nervus hypoglossus. (Bild: s. Veröfftl.)

Der Teil des Innenohres, der für das Hören verantwortlich ist, die Lagena oder Cochlea, ist bei Europasaurus relativ lang. Diese Tatsache legt nahe, dass die Tiere recht gut hören konnten und in ihrer Herde eine innerartliche Kommunikation stattfand. Die Forscher konnten auch einen weiteren Teil des Innenohres, das Gleichgewichtsorgan, welches aus drei kleinen Bogengängen besteht, rekonstruieren. Sie stellten fest, dass die Gehäuse dieser Gleichgewichtsorgane bei sehr jungen Europasauriern in Form und Größe denen ausgewachsener Tiere sehr nahekommen. Daraus schlossen die Forscher, dass bereits sehr junge Individuen von Europasaurus stark auf ihren Gleichgewichtssinn angewiesen waren. Einige der untersuchten Schädelreste sind dabei so winzig (~2 cm), dass sie vielleicht von Schlüpflingen stammen und die Art damit ein Nestflüchter war. Während andere Sauropoden viele Tonnen schwerer waren als ihr frisch geschlüpfter Nachwuchs und damit eine lebensgefährliche Bedrohung darstellten, könnten die Europasaurus-Schlüpflinge direkt in der Nähe der Gruppe mitgewandert sein.


Veröffentlichung: Marco Schade, Nils Knötschke, Marie K Hörnig, Carina Paetzel, Sebastian Stumpf (2022) Neurovascular anatomy of dwarf dinosaur implies precociality in sauropods eLife 11:e82190 https://doi.org/10.7554/eLife.82190

Quelle: off. Pm der Universität Greifswald

Titelbildunterschrift: Niedersachsen vor 154 Millionen Jahren: Einige erwachsene Tiere wachen über die frisch geschlüpften Europasaurus-Küken, welche das Nest verlassen, um der Herde zu folgen. (© Davide Bonadonna)


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Pia Gaupels

Gründerin bei GeoHorizon
Pia Gaupels, *86, Bibliotheksinformationsstudium an der TH Köln von 2007-2010. Studiert seit 2014 an der Universität Münster Geowissenschaften. Der Schwerpunkt liegt auf Planetare Geologie und Geoinformationswissenschaften. 2015 gründete Sie die Seite Geohorizon. Sie besitzt ausgeprägte Fähigkeiten in der Bild- und Videobearbeitung und arbeitet seit 2018 wieder als Bibliothekarin.

Über Pia Gaupels

Pia Gaupels, *86, Bibliotheksinformationsstudium an der TH Köln von 2007-2010. Studiert seit 2014 an der Universität Münster Geowissenschaften. Der Schwerpunkt liegt auf Planetare Geologie und Geoinformationswissenschaften. 2015 gründete Sie die Seite Geohorizon. Sie besitzt ausgeprägte Fähigkeiten in der Bild- und Videobearbeitung und arbeitet seit 2018 wieder als Bibliothekarin.

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