Ein Rückgang der eingehenden Sonnenstrahlung könnte das Zeitalter der “Schneeball-Erde” ausgelöst haben

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Mindestens zweimal in der Erdgeschichte war fast der gesamte Planet von einer Schnee- und Eisschicht bedeckt. Diese dramatischen “Schneeball-Erde”-Ereignisse ereigneten sich in rascher Abfolge vor etwa 700 Millionen Jahren. Es gibt Hinweise darauf, dass die aufeinanderfolgenden globalen Eiszeiten die Voraussetzungen für die anschließende explosionsartige Ausbreitung von komplexem, vielzelligem Leben auf der Erde schufen. Wissenschaftler haben nun verschiedene Szenarien analysiert, um herauszufinden, welche Ereignisse den Planeten in die einzelnen Eiszeiten gestürzt haben könnten.

Es wurde zwar kein einzelner treibender Prozess identifiziert, es wird jedoch angenommen, dass die Ursache für das vorübergehende Vereisen des Planeten eine kritische Schwelle überschritten haben muss. So wurde beispielsweise das einfallende Sonnenlicht oder das atmosphärische Kohlendioxid auf ein Niveau reduziert, das gering genug war, um eine globale Expansion des Eises auszulösen.

Aber Wissenschaftler des MIT sprechen nun davon, dass die Snowball-Earth-Phasen wahrscheinlich das Produkt “rateninduzierter Vergletscherungen” waren. Das bedeutet, dass die Erde in eine globale Eiszeit kippen kann, wenn sich die Menge der Sonnenstrahlung, die auf die Erde trifft, innerhalb einer geologisch kurzen Zeitspanne schnell ändert. Die Menge der Sonnenstrahlung muss dabei nicht bis zu einem bestimmten Schwellenpunkt sinken; solange die Abnahme des einfallenden Sonnenlichts schneller als eine festgelegte kritische Menge erfolgt, wird eine vorübergehende Vergletscherung oder Schneeball-Erde folgen.

Diese Ergebnisse, die nun in der Fachzeitschrift “Proceedings of the Royal Society A” veröffentlicht wurden, deuten darauf hin, dass, was auch immer die Eiszeiten auf der Erde ausgelöst hat, höchstwahrscheinlich mit Prozessen zu tun hatte, die die Menge der einfallenden Sonnenstrahlung schnell reduziert haben. Dabei handelt es sich beispielsweise um große Vulkanausbrüche oder biologisch induzierte Wolkenbildung, die die Sonneneinstrahlung erheblich blockiert haben können.


Anmerkung: “biologisch induzierte Wolkenbildung”: Wenn Algen eingehen bildet sich Dimethylsulfid. Dimethylsulfid, auch Methylthiomethan ist eine schwefelhaltige organische Verbindung mit der chemischen Formel (CH₃)₂S. Es ist der einfachste Thioether, die am häufigsten biogen in die Atmosphäre emittierte Schwefelverbindung und verantwortlich für den typischen Geruch des Meeres. Als Aerosol geht es in die Atmosphäre und die davon entstehenden Schwefelverbindungen dienen dann als Kondensationskeime für Wolken.


Die Forschungsergebnisse können auch für die Suche nach Leben auf anderen Planeten herangezogen werden. Die Forscher waren sehr daran interessiert, Exoplaneten innerhalb der bewohnbaren Zone zu finden – also in einer Entfernung von ihrem Heimatstern, die in einem Temperaturbereich liegt, der Leben unterstützen könnte. Die neue Studie legt nahe, dass auch diese Planeten, wie die Erde, vorübergehend vereisen könnten, wenn sich ihr Klima abrupt ändert. Selbst wenn sie innerhalb einer bewohnbaren Zone liegen, sind erdähnliche Planeten möglicherweise anfälliger für globale Eiszeiten als bisher angenommen.

“Sie könnten einen Planeten vorfinden, der sich gut innerhalb der klassischen bewohnbaren Zone bewegt, aber wenn sich das einfallende Sonnenlicht zu schnell ändert, könnte es zu einem Schneeballefekt wie auf der Erde kommen”, sagt Hauptautor Constantin Arnscheidt, ein Doktorand in der Abteilung für Erd-, Atmosphären- und Planetenwissenschaften (EAPS) des MIT.

„Es zeigt, dass das Konzept der Bewohnbarkeit sehr viel nuancierter ist, als es bisher angenommen wurde.”

Arnscheidt hat das Paper zusammen mit Daniel Rothman, EAPS-Professor für Geophysik und Mitbegründer und Co-Direktor des Lorenz-Zentrums, verfasst.


Ein galoppierender Schneeball


Unabhängig von den besonderen Prozessen, die vergangene Vergletscherungen ausgelöst haben, sind sich die Wissenschaftler im Allgemeinen einig, dass Schneeball-Erden durch einen „Positiven Rückkopplungseffekt” entstanden sind, der eine Rückkopplung des Eis-Albedos beinhaltet: Wenn das einfallende Sonnenlicht reduziert wird, dehnt sich das Eis von den Polen bis zum Äquator aus. Je mehr Eis den Globus bedeckt, desto reflektierender wird der Planet oder desto höher ist die Albedo, die die Oberfläche weiter abkühlt und dafür sorgt, dass sich noch mehr Eis ausdehnt. Schließlich, wenn das Eis ein gewisses Ausmass erreicht, wird dies zu einem unkontrollierbaren Prozess, der zu einer globalen Vergletscherung führt.

Definition Albedo: (lateinisch albedo  ‚Weiße‘; von lateinisch albus  ‚weiß‘) ist ein Maß für das Rückstrahlvermögen (Reflexionsstrahlung) von diffus reflektierenden, also nicht selbst leuchtenden Oberflächen. Schneebedecktes Eis hat mit einer Albedo bis 0,9 das höchste Rückstrahlvermögen. Dies bedeutet, dass 90% des einfallenden Lichts zurückreflektiert wird.

Globale Eiszeiten auf der Erde sind aufgrund des Kohlenstoffkreislaufs des Planeten von vorübergehender Natur. Wenn der Planet nicht von Eis bedeckt ist, wird der Kohlendioxidgehalt in der Atmosphäre in gewisser Weise durch die Verwitterung von Gesteinen und Mineralen gesteuert. Wenn der Planet mit Eis bedeckt ist, wird die Verwitterung stark reduziert, so dass sich Kohlendioxid in der Atmosphäre ansammelt und einen Treibhauseffekt erzeugt, der den Planeten schließlich aus seinem Eiszeitkreislauf befreit.

Wissenschaftler sind sich im Allgemeinen darin einig, dass die Entstehung von Schneeball-Erden etwas mit dem Gleichgewicht zwischen einfallendem Sonnenlicht, der Rückkopplung des Eis-Albedos und dem globalen Kohlenstoffkreislauf zu tun hat.

“Es gibt viele Ideen, was diese globalen Vergletscherungen verursacht hat, aber sie alle laufen in Wirklichkeit auf eine gewisse Veränderung der einfallenden Sonnenstrahlung hinaus”, sagt Arnscheidt. “Aber im Allgemeinen wurde dies im Zusammenhang mit dem Überschreiten eines Schwellenwertes betrachtet”, sagt Arnscheidt.

Er und Rothman hatten zuvor andere Perioden in der Erdgeschichte untersucht, in denen bestimmte Klimaänderungen so rasch erfolgten, dass sie Einfluss auf globale Ereignisse, wie etwa vergangene Massenaussterbeereignisse, hatten.

“Im Laufe dieser Forschungsarbeit wurde uns klar, dass es eine unmittelbare Möglichkeit gab, einen wissenschaftlich fundierten Standpunkt zu formulieren, indem wir die Idee des rateninduzierten Kippens auf die Schneeball-Erde und dessen Bewohnbarkeit anwenden”, sagt Rothman.


„Hüte dich vor der Geschwindigkeit!”


Die Forscher entwickelten daraufhin ein einfaches mathematisches Modell des Klimasystems der Erde. Mit Hilfe dieses Modells lassen sich durch Gleichungen die Beziehungen zwischen der ein- und ausgehenden Sonnenstrahlung, der Oberflächentemperatur der Erde, der Kohlendioxidkonzentration in der Atmosphäre und den Auswirkungen der Verwitterung bei der Aufnahme und Speicherung von atmosphärischem Kohlendioxid darstellen. Die Forscher konnten jeden dieser Parameter anpassen, um zu beobachten, unter welchen Bedingungen ein Schneeball-System auf der Erde entsteht.

Letztlich stellten sie fest, dass ein Planet eher vereist, wenn die einfallende Sonnenstrahlung schnell abnimmt. Und zwar schneller, als eine bestimmte kritische Rate und nicht bis zu einer kritischen Schwelle oder einem festgelegten Sonnenlichtniveau. Es besteht eine gewisse Unsicherheit darüber, wie genau diese kritische Rate aussehen würde, da das Modell eine vereinfachte Darstellung des Erdklimas ist (Was übrigens auf jedes mathematische Modell zutrifft). Dennoch schätzt Arnscheidt, dass die Erde über einen Zeitraum von etwa 10.000 Jahren einen etwa 2-prozentigen Rückgang des einfallenden Sonnenlichts verzeichnen müsste, um in eine globale Eiszeit zu kippen.

“Es ist vernünftig anzunehmen, dass vergangene Vergletscherungen durch geologisch schnelle Veränderungen der Sonneneinstrahlung induziert wurden”, sagt Arnscheidt.

Die besonderen Mechanismen, die den Himmel über Zehntausende von Jahren schnell verdunkelt haben könnten, stehen noch immer zur Debatte. Eine Möglichkeit ist, dass weit verbreitete Vulkane Aerosole in die Atmosphäre gespuckt haben, die das einfallende Sonnenlicht auf der ganzen Welt blockieren. Eine andere ist, dass primitive Algen Mechanismen entwickelt haben könnten, die die Bildung von lichtreflektierenden Wolken erleichtert haben. Die Ergebnisse dieser neuen Studie deuten darauf hin, dass Wissenschaftler Prozesse wie diese, die die einfallende Sonnenstrahlung schnell reduzieren, als wahrscheinlichere Auslöser für die Eiszeiten der Erde in Betracht ziehen könnten.

“Auch wenn die Menschheit bei unserer derzeitigen Klimaprognose keine Schneeballvereisung auslösen wird, könnte die Existenz eines solchen ‘rateninduzierten Kipppunktes’ auf globaler Ebene dennoch Anlass zur Sorge geben”, betont Arnscheidt. “Es lehrt uns zum Beispiel, dass wir uns vor der Geschwindigkeit, mit der wir das Erdklima verändern, in Acht nehmen sollten, nicht nur vor dem Ausmaß der Veränderung. Es könnte noch andere solcher ratenbedingten Kipp-Punkte geben, die durch die anthropogene Erwärmung ausgelöst werden könnten.Diese zu identifizieren und ihre kritischen Raten zu begrenzen, ist ein lohnendes Ziel für die weitere Forschung”.


Veröffentlichung: Arnscheidt Constantin W., Rothman Daniel H., 2020, Routes to global glaciation, Proc. R. Soc., A. 47620200303 http://doi.org/10.1098/rspa.2020.0303

Quelle: off. Pm des Massachusetts Institute of Technology

Titelbildunterschrift: Während ihrer “Schneeballphase” mag die Erde Enceladus, einem Mond von Saturn, der mit Schnee und Eis bedeckt ist, ähneln. (Foto: NASA/JPL-Caltech/Space Science Institute)


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Pia Gaupels

Gründerin bei GeoHorizon
Pia Gaupels, *86, Bibliotheksinformationsstudium an der TH Köln von 2007-2010. Studiert seit 2014 an der Universität Münster Geowissenschaften. Der Schwerpunkt liegt auf Planetare Geologie und Geoinformationswissenschaften. 2015 gründete Sie die Seite Geohorizon. Sie besitzt ausgeprägte Fähigkeiten in der Bild- und Videobearbeitung und arbeitet seit 2018 wieder als Bibliothekarin.

Über Pia Gaupels

Pia Gaupels, *86, Bibliotheksinformationsstudium an der TH Köln von 2007-2010. Studiert seit 2014 an der Universität Münster Geowissenschaften. Der Schwerpunkt liegt auf Planetare Geologie und Geoinformationswissenschaften. 2015 gründete Sie die Seite Geohorizon. Sie besitzt ausgeprägte Fähigkeiten in der Bild- und Videobearbeitung und arbeitet seit 2018 wieder als Bibliothekarin.

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