Ein neuer Riesenichthyosaurier aus der Obertrias von England

Share Button

Einige triassische Ichthyosaurier erreichten beeindruckende Körpermaße. Ein neuer Unterkieferknochen aus Südengland könnte, mit einer geschätzten Gesamtlänge des Tieres zwischen 22 und 26m, vom neuen Spitzenreiter stammen. Die Existenz derart großer Ichthyosaurier in der Obertrias der Britischen Inseln stellt auch die Identifikation einiger zuvor Dinosauriern zugeschriebenen Knochenfragmente in Frage.

Die Ichthyosaurier waren während der Trias das dominante Taxon von Meeresreptilien, und legten eine beachtliche Diversität und zum Teil gewaltige Körpermaße an den Tag. Die größten Ichthyosaurier Überhaupt waren Vertreter der Shastasauridae aus der Mittleren bis Oberen Trias, darunter das mit geschätzten 21m Gesamtlänge bisher längste marine Reptil überhaupt, Shastasaurus (ehem. Shonisaurus, Sander et al. 2011) sikanniensis, aus dem Norium von Kanada, sowie die ebenfalls riesenwüchsigen Arten Shonisaurus popularis und Himalayasaurus tibetensis (Motani et al. 2001).

Bei dem von Lomax et al. beschriebenen Material handelt es sich primär um ein unvollständiges, in fünf Bruchstücken vorhandenes, linkes Surangulare von gigantischen Ausmaßen. Der Fundort in  Lilstock, Somerset gehört stratigraphisch zur Westbury Mudstone Formation aus dem Rhaetium (Obertrias). Die Morphologie des Knochens ähnelt jener bei Shonisaurus bzw.. Shastasaurus, und hier stärker der von S. sikanniensis als S. popularis.

Surangulare des Riesenichthyosauriers von Lilstock. Maßstab: 50cm. Bild: Lomax et al. 2018, CC-BY

Auffällige Merkmale des Knochens sind die starke, aber möglicherweise erhaltungsbedingte Krümmung nahe dem Hinterende und die stark ausgebildete Meckelsche Rinne auf der Innenseite, beides Gemeinsamkeiten mit S. sikanniensis. Größe und Stratigraphie sprechen ebenfalls für eine wahrscheinliche Zugehörigkeit zu den Shastasauridae.

Mehrere Knochenfragmente aus Aust Cliff, Gloucestershire wurden bisher aufgrund ihrer Größe und mit Hinblick auf den zeitgleich in der Region lebenden Sauropodomorpha Camelotia borealis für Reste von Dinosaurierlangknochen gehalten. Vor dem Hintergrund von Ichthyosaurierkiefermaterial, welches durchaus im Größenbereich der Oberschenkelknochen großer triassischer Dinosaurier anzusiedeln ist, und aufgrund der deutlich besser passenden Knochenmorphologie, handelt es sich bei diesem Material vermutlich auch um Reste von Ichthyosaurierkiefern.
Ein weiteres Ichthyosaurierexemplar aus Frankreich wurde ursprünglich für einen vollständig verwachsenen Unterkieferast gehalten. Da selbst bei den größten anderen Ichthyosauriern die Knochennähte des Unterkiefers sichtbar bleiben, handelt es sich auch hier vermutlich tatsächlich um ein sehr großes Surangulare.

Vollständiges Skelett des kleineren Shastasauriden Shastasaurus liangae. Die kurzen, zahnlosen Kiefer dieser Art deuten, ähnlich wie auch jene von S. sikanniensis, auf eine Ernährung von kleinen Beutetieren hin, während manche Shastasauriden, beispielsweise Himalayasaurus, scharfkantige Zähne besaßen (Motani et al. 1999), die zur Jagd auf größere Tiere geeignet waren. Bild: Sander et al 2011, CC-BY

Das Surangulare des Monsters von Lilstock misst 96cm in der Länge, obwohl ein Stück seines Vorderendes fehlt. Der Durchmesser des Knochens beträgt maximal 24cm, bei S. sikanniensis sind es lediglich 19cm. Hatte er die gleichen Proportionen, so war der neue Ichthyosaurier mehrere Meter Länger als sein kanadischer Verwandter, was ihn nicht nur zum größten Ichthyosaurier, sondern auch zum mit Abstand größten bekannten marinen Reptil machen würde. Der Vergleich des Knochens mit Besanosaurus hingegen deutet auf eine Länge von “nur” 22m hin. Nimmt man für einen 21m langen S. sikaniensis eine Körpermasse von ca. 28 t (basierend auf eigener 3D-Rekonstruktion nach dem artikulierten Skelett von S. tangae, Shang & Li 2009), so würde es ein 26m langes Tier bei den gleichen Körperproportionen auf immerhin 56t bringen, eine Körpermasse ähnlich jener von großen männlichen Pottwalen. Für eine 22m-Version reduziert sich diese Masse allerdings auf 32t.

Damit aber noch nicht genug, so hat eines der Knochenfragmente von Aust Cliff, welches vermutlich ebenfalls Teil des Surangulare eines großen Ichthyosauriers war, einen mit 13.8cm noch um weitere 30% größeren Durchmesser als das Lilstock-Exemplar an der gleichen Stelle. Solche relativ kleinen Knochenfragmente sind natürlich bei Größenschätzungen mit noch größerer Vorsicht zu genießen als ein fast vollständiger Einzelknochen. Stimmen die Proportionen überein, so müsste man einige triassische Ichthyosaurier aber sogar zusammen mit den größten Sauropoden und Bartenwalen unter die größten Tieren der Erdgeschichte zählen.

Die Knochenhistologie der Aust Cliff-Fragmente deutet zudem darauf hin, dass die Individuen zum Zeitpunkt des Todes noch in einer Phase rapiden Wachstums waren, was vermuten lässt, dass die Ichthyosaurier ihren Riesenwuchs durch eine paedomorphe Knochenstruktur, also das Behalten von Jungtiermerkmalen im Adultstadium, erlangten. Ähnliches kennt man beispielsweise von Mosasauriern, den großen marinen Eidechsen der Späten Kreidezeit.

Artikel:
Lomax, D. R., P. De la Salle, J. A. Massare, and R. Gallois. 2018: A giant Late Triassic ichthyosaur from the UK and a reinterpretation of the Aust Cliff ‘dinosaurian’ bones. PLOS ONE 13:e0194742.

Weitere Quellen:

Motani, R., M. Manabe, and Z.-M. Dong. 1999: The status of Himalayasaurus tibetensis (Ichthyopterygia). Paludicola 2:174–1.
Sander, P. M., X. Chen, L. Cheng, and X. Wang. 2011: Short-Snouted Toothless Ichthyosaur from China Suggests Late Triassic Diversification of Suction Feeding Ichthyosaurs. PLOS ONE 6:e19480.

Shang, Q. H., and C. Li. 2009: On the occurrence of the ichthyosaur Shastasaurus in the Guanling biota (Late Triassic), Guizhou, China. Vertebrata PalAsiatica 47:178–193.


GeoHorizon ist ein Informationsportal, das aktuelle Meldungen aus den Fachgebieten der Geowissenschaften veröffentlicht. Wir richten uns an Experten und Laien, die von Geologie fasziniert sind, und möchten das nötige Hintergrundwissen jedermann zugänglich machen.

Folgt uns auf Facebook

Anzeige

The following two tabs change content below.

Pia Gaupels

Gründerin bei GeoHorizon
Pia Gaupels, *86, Bibliotheksinformationsstudium an der TH Köln von 2007-2010. Studiert seit 2014 an der Universität Münster Geowissenschaften. Der Schwerpunkt liegt auf Planetare Geologie und Geoinformationswissenschaften. 2015 gründete Sie die Seite Geohorizon. Sie besitzt ausgeprägte Fähigkeiten in der Bild- und Videobearbeitung und arbeitet seit 2018 wieder als Bibliothekarin.

Über Pia Gaupels

Pia Gaupels, *86, Bibliotheksinformationsstudium an der TH Köln von 2007-2010. Studiert seit 2014 an der Universität Münster Geowissenschaften. Der Schwerpunkt liegt auf Planetare Geologie und Geoinformationswissenschaften. 2015 gründete Sie die Seite Geohorizon. Sie besitzt ausgeprägte Fähigkeiten in der Bild- und Videobearbeitung und arbeitet seit 2018 wieder als Bibliothekarin.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert