“Udo”: der älteste zweibeinige Affe stammt aus dem Allgäu

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Die Fähigkeit auf zwei Beinen zu gehen unterscheidet den Menschen und seine ausgestorbenen Verwandten von anderen bekannten Menschenaffen. Doch wie und warum unsere Vorfahren begannen sich auf den Hinterbeinen fortzubewegen wird immer noch kontrovers diskutiert. Der neue Menschenaffe Danuvius guggenmosi aus dem Miozän von Bayern zeigt jetzt, dass diese Entwicklung eventuell schon viel früher und, anders als der Großteil der menschlichen Evolution, noch außerhalb Afrika stattgefunden haben könnte.

Zwar nicht die Krone der Schöpfung, sind wir Menschen innerhalb der Menschenaffen (Hominidae) doch etwas Besonderes. Neben unserem lächerlich großen Hirnschädel und fast felllosem Körper ist es natürlich unsere Fähigkeit dauerhaft auf zwei Beinen zu laufen eines der offensichtlichsten Merkmale, die uns von Schimpansen, Gorillas und Orang-Utans unterscheiden. Diese Zweibeinigkeit (Bipedie) findet sich auch bei unseren nächsten ausgestorbenen Verwandten, den afrikanischen Australopithecinen. Doch wie und warum verließen unsere Vorfahren die Bäume um fortan ein Leben auf dem Boden zu führen? Madelaine Böhme vom Senckenberg Center an der Universität Tübingen und ihre Kollegen zeigen nun anhand der neu entdeckten Art Danuvius guggenmosi, dass dieser Aspekt der menschlichen Evolution wohl noch nicht in der afrikanischen Savanne vonstatten ging, sondern vielleicht in den Baumkronen des miozänen Allgäus seinen Anfang nahm.

Udo Lindenberg und der bayerische Affe

Böhme und ihre Kollegen von der Universität Tübingen unterhalten schon seit mehreren Jahren in der Gemeinde Pforzen (Ostallgäu) alljährliche Grabungen in einer miozänen Tongrube. Als das feine Sediment vor fast zwölf Millionen Jahren in einem Bachbett abgelagert wurde, lebte in dem damaligen Gebiet eine Vielzahl von exotisch anmutenden Tieren wie Hauerelefanten, Nashörnern, Hirschverwandten und anderen Huftiere sowie auch verschiedene Vögel und Reptilien. In diesen fossilienreichen Schichten purzelte Böhme und ihren Kollegen am 17. Mai 2016 schließlich ein Knochen vor die Füße, dessen Brisanz sie sich damals noch nicht ausmalen konnten. Es war der Oberkiefer eines männlichen Menschenaffen, etwas kleiner als ein heutiger Bonobo, den sie drei Jahre später als neue Art Danuvius guggenmosi benennen würden. Den Tag des ersten Knochenfunds wissen Böhme und Kollegen, wie sie auf einer Pressekonferenz diese Woche bekannt gaben, dabei genau. Es war der 70. Geburtstag des Sängers Udo Lindenberg, entsprechend erhielt auch der männliche Danuvius seinen passenden Spitznamen: “Udo”. Nur, “Udo” war nicht allein. Böhme und Kollegen fanden neben weiteren Knochen von “Udo” auch die Reste einer ganzen Sippe, darunter zwei erwachsene Weibchen und Knochen von Jungtieren. “Udo” und seine Familie waren keine Australopithecinen oder gar frühe Menschen, sondern hielten sich wie die anderen heutigen Menschenaffen wohl am liebsten in den Bäumen auf. Doch Merkmale ihrer Anatomie zeigen: diese bayerischen Affen konnten sich bereits ohne Probleme auf ihren Hinterbeinen fortbewegen.

Zweibeiner in den allgäuer Bäumen

Lebendrekonstruktion von Danuvius guggenmosi in den Baumkronen eines Auenwalds vor 11,62 Millionen Jahren. Bild Velizar Simeonovski.

Um Primaten wie uns und unsere Vorfahren dazu zu bringen, dauerhaft auf zwei Beinen zu gehen, waren einige anatomische Anpassungen nötig. So sind unsere Bein- und Beckenknochen sowie unsere Knie- und Fußgelenke anders gestaltet. Auch verläuft unsere Wirbelsäule in einer doppelten S-Kurve statt in einem einfachen Bogen wie bei den anderen heutigen Menschenaffen. Die Hinterbeine von Danuvius gleichen dabei eher denen der Menschen und ihrer Vorfahren, da besonders Knie und Knöchel auf eine längere Beanspruchung ausgelegt waren, wie man es vor allem von Zweibeinern kennt. Insbesondere das Schienbein von Danuvius weist laut Böhme et al. überraschend große Ähnlichkeiten zu dem unseren auf.

Doch trotz dieser Anpassungen waren “Udo” und seine Sippe wohl nicht so häufig auf dem Boden unterwegs wie die späteren Menschen und Australopithecinen. Der große Zeh von Danuvius war kräftig und wie bei den heutigen nicht-menschlichen Affen zum Klammern geeignet. Auch die Arme dieser Affen waren im Vergleich zu den Beinen relativ lang, in etwa im Verhältnis wie man es von den Bonobos und Schimpansen kennt. Bei uns Menschen sind dagegen die Beine länger. Gemeinsam mit einem speziell angepassten Handskelett und den passenden Ellenbogengelenken ergibt sich daraus das Bild eines guten Kletterers. Danuvius vereinigt also sowohl Merkmale von kletternden Menschenaffen als auch von Zweibeinern wie aus der Stammlinie des Menschen. Wahrscheinlich hat sich Danuvius also zweibeinig kletternd in den Baumkronen der damaligen Auenwälder fortbewegt. Eine wie Böhme et al. feststellen für Menschenaffen vollkommen unbekannte Art der Fortbewegung.

In wessen Verwandtschaft gehörte Danuvius?

Wenn neue Fossilien eines ausgestorbenen Menschenaffen gefunden werden stellt sich natürlich für viele die Frage an welcher Stelle im Baum der Evolution die neue Art sie zu setzen ist, besonders wenn sie über Eigenschaften verfügt, die wir bis jetzt nur von Menschen und Australopithecinen kannten. Böhme und Kollegen stellen Danuvius anhand von Merkmalen seiner Zähne dabei zu den Dryopithecinen, einer ausgestorbenen Unterfamilie von Menschenaffen, die während der Epoche des Miozän in Eurasien verbreitet waren. Verschiedene Paläoanthropologen vertreten die Ansicht, dass aus nach Afrika eingewanderten Dryopithecinen die Linien der heutigen afrikanischen Menschenaffen hervorgingen. Sprich, die Vorfahren der Gorillas, Schimpansen und letztendlich auch der Menschen. In diesem Zusammenhang wäre die seltsame Anatomie von Danuvius besonders interessant. Die Kombination von Zweibeiner und Kletterer könnte die ursprüngliche Form der modernen Menschenaffen darstellen aus der einmal die Bipedie unserer Vorfahren sowie zweimal unabhängig der Knöchelgang der Gorillas und Schimpansen hervorgegangen sein könnte. Vielleicht aber ist Danuvius auch einfach ein Menschenaffe, der bereits sechs Millionen Jahre vor dem Auftreten der Australopithecinen, und neun Millionen Jahre vor den ersten Menschen, unabhängig von unserer Stammlinie eine zweibeinige Fortbewegungsweise entwickelt hat?

Egal welches Szenario sich als korrekt herausstellen wird, “Udo” und seine Familie haben jetzt schon an unserem Verständnis der Evolution der Menschenaffen gerüttelt und erinnern uns, dass vieles was bis dato noch als “typisch Mensch” galt, eventuell schon viel älter ist, wenn nicht sogar mehrmals unabhängig entstand.


Quellen:

Böhme, M., Spassov, N., Fuss, J. et al. 2019. A new Miocene ape and locomotion in the ancestor of great apes and humans. Nature. doi:10.1038/s41586-019-1731-0

Kivell, T. 2019. Fossil ape hints at how walking on two feet evolved. Nature News and Views. doi: 10.1038/d41586-019-03347-0

Titelbildunterschrift: Lebendrekonstruktion von Danuvius guggenmosi in den Baumkronen eines Auenwalds vor 11,62 Millionen Jahren. Bild Velizar Simeonovski.


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Pascal Abel

Pascal Abel, Jahrgang 1994, hat an der Uni Erlangen Geowissenschaften mit den Vertiefungen Paläobiologie und Angewandter Sedimentologie studiert. Derzeit arbeitet er als Doktorand am SHEP Tübingen über die Schädelevolution von Landwirbeltieren. Nebenbei beschäftigt er sich auch mit ausgestorbenen Meeresreptilien und allgemein palökologischen Themen.

Über Pascal Abel

Pascal Abel, Jahrgang 1994, hat an der Uni Erlangen Geowissenschaften mit den Vertiefungen Paläobiologie und Angewandter Sedimentologie studiert. Derzeit arbeitet er als Doktorand am SHEP Tübingen über die Schädelevolution von Landwirbeltieren. Nebenbei beschäftigt er sich auch mit ausgestorbenen Meeresreptilien und allgemein palökologischen Themen.

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