“Ur-Flipper” aus dem Oligozän zeigt konvergente Evolution der Schwimmanpassung bei modernen Walen

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In South Carolina machte man den überraschenden Fund eines beinahe vollständig erhaltenen Skeletts eines großräuberischen Delfins aus dem Oligozän.
Dr. Robert Boessenecker und sein Forscherteam vom College of Charleston in Charleston, South Carolina haben eine detaillierte Beschreibung von Ankylorhiza tiedemani im Journal “Current Biology” veröffentlicht. Bisher waren nur fossilen Fragmente der Schnauze (“Schnabel”) dieser Art bekannt.  
Der im Journal beschriebene Fund zeigt nicht nur wie das Tier einst ausgesehen hat, sondern weist auch auf eine schrittweise Evolution der Fortbewegung bei den Zahnwalen auf.


Der Bewegungsapparat der modernen Delfine


Delfine gehören zu den Tieren, die sich perfekt an das Leben als aktive Schwimmer angepasst haben. Dank ihrer starren spindelförmigen Körper, der von einer axialen Muskulatur umgeben ist, ist ein vertikaler Bewegungsablauf (“auf-und-ab”) ihrer Schwanzflosse (“Fluke”) durch Stoßbewegungen möglich. In Kombination mit ihren Brustflossen (“Flipper”) können dadurch Geschwindigkeiten von bis zu 50 km/h erreicht werden. Die Fluke ist bei allen modernen Walen und Delfine ein typisches Körpermerkmal und dient heutzutage zur Artbestimmung und als Unterscheidungsmerkmal einzelner Tiere.


Bisheriger Fossilbericht


Aus dem eozänen Fossilbericht der Delfine und Wale ist bisher bekannt, dass in dieser Epoche ein Übergang vom semi-aquatischen zu einer reinen aquatischen Lebensweise stattfand. Hierbei entwickelte sich der Körper zu einer spindelartigen Form, während zur gleichen Zeit die Hinterbeine weitgehend reduziert wurden. Den Übergang von einer hinterbeinkontrollierten zur einer flukekontrollierten Bewegung war durch bisherige Funde nicht klar belegbar. Zudem sind passende Fossilien aus dem darauffolgenden Oligozän bisher recht selten.

Die Erstbeschreibung von Ankylorhiza tiedemani stammt aus dem 19. Jahrhundert, wobei nur Fragmente eines Schädels beschrieben werden konnte. Das erste bekannte Skelett stammt basiert auf einem Fund aus den 1970er Jahren. Gefunden wurde es vom Kurator des Charleston Museum Natural History, Alber Sanders. Erst etwa 20 Jahre später sollten Forscher einen Fund machen, der wiederum erst nach weiteren 20 Jahren die Aufmerksamkeit der Forscher gewann.


Der “neue” Fund aus South Carolina


Dr. Robert Boessenecker und sein Forscherteam vom College of Charleston in Charleston, South Carolina beschreiben den Fund aus den 1990er als einen der Top-Räuber seiner Zeit vor etwa 25 Millionen Jahren.

Beim beschriebenen Fund handelt es sich aber um keinen typischen Grabungsfund, sondern er wurde per Zufall beim Bau einer Wohnsiedlung in South Carolina entdeckt und anschließend für das weitere Studien an das Mace Brown Museum of Natural History gespendet. Erhalten von diesem Fundstück sind die Wirbelsäule, der Brustkorb, der Schädel und eine Vorderpaddel. Ein Glücksfund für Dr. Boessenecker und sein Forschungsteam, wie sich herausstellte:

“Wale und Delfine haben eine komplizierte und lange Entwicklungsgeschichte, und auf einen Blick kann man diesen Eindruck von modernen Arten nicht bekommen”, sagt Boessenecker. “Der Fossilienbestand hat diesen langen, gewundenen Evolutionspfad wirklich aufgebrochen und Fossilien wie Ankylorhiza helfen dabei, zu beleuchten, wie dies geschah.” (Anmerk.: übersetzt aus dem Englischen)

Ankylorhiza tiedemani zählt als erster großer räuberischer Zahnwal, der eine Nische besetzte, die zuvor von den Basilosauriden, einer ausgestorbenen Familie riesiger Urwale, eingenommen wurde. Er hatte eine Körperlänge von knapp fünf Metern und zählt damit als der größte bekannte Zahnwal des Oligozäns. Diese Körperlänge wird erst im frühen Miozän mit demAuftauchen der Pottwale übertroffen. Die Gattung Ankylorhiza starb dagegen im Miozän aus, seine Nische wurde von einigen Arten der Gattung Squalodon, großräuberischen Pottwalen und später von Schwertwalen ausgefüllt.

Das Besondere an Ankylorhiza tiedemani sind die Merkmale seines Bewegungsapparates, die auf eine konvergente Evolution zwischen Bartenwale (Mysticetes) und Zahnwalen (Odontocetes) hinweisen, d.h. eine Entwicklung von ähnlichen Merkmalen bei nicht näher verwandten Arten.  

Beispiele hierfür sind das Axialeskelett, das eine bereits einsetzende Starrheit des Körpers an der Basis des Schwanzes anzeigt, wobei die Lendenregion noch flexibel ist. Vermutlich konnte diese Art bereits sehr schnell schwimmen und ähnlich wie ein heutiger Schwertwal gelebt. Dass Ankylorhiza ein Großräuber war, belegen die Zahn- und Schädelform.

Beim Neufund aus South Carolina wurden zudem postcraniale Spezialisierungen (d.h. Aufteilung des Körpers in Hals, Brust, Lenden, Kreuz- und Schwanzwirbel) der heutigen Wale entdeckt. Dazu zählt auch die Reduktion der Oberarmknochen, ein schmaler Schwanzstiel und der Verlust der aufgerauten strahlenförmigen Knochenvorsprünge (sog. Tuberositas).

“Da das Oligozän eine Epoche ist, in der sich die Nahrungsaufnahme durch Filtern und die Echolokalisierung zum ersten Mal entwickelt haben und die damaligen Lokalitäten von Meeressäuger weltweit rar sind, bieten die Fossilien aus Charleston das umfassendste Fenster in die frühe Entwicklung dieser Gruppen und bieten beispiellose evolutionäre Einblicke.”, bemerkt Boessenecker. (Anmerk.: übersetzt aus dem Englischen)

Weitere Untersuchungen am Skeletts stehen noch aus, deren Ergebnisse hoffentlich zu einem besseren Verständnis der Evolution der Delfine und der oligozänen Meeressäuger im Allgemeinen führen.

Veröffentlichung: Robert W. Boessenecker et al. : Convergent Evolution of Swimming Adaptations in Modern Whales Revealed by a Large Macrophagous Dolphin from the Oligocene of South Carolina. Volume 30, ISSUE 16, P3267-3273.e2, August 17, 2020, https://www.cell.com/current-biology/fulltext/S0960-9822(20)30828-9

Quellen des Interview: http://www.sci-news.com/paleontology/ankylorhiza-tiedemani-08626.html; https://www.sciencedaily.com/releases/2020/07/200709113518.htm

Titelbildunterschrift: Skelett von Ankylorhiza tiedemani und Dr. Boessenecker (Foto: College of Charleston)

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Pia Gaupels

Gründerin bei GeoHorizon
Pia Gaupels, *86, Bibliotheksinformationsstudium an der TH Köln von 2007-2010. Studiert seit 2014 an der Universität Münster Geowissenschaften. Der Schwerpunkt liegt auf Planetare Geologie und Geoinformationswissenschaften. 2015 gründete Sie die Seite Geohorizon. Sie besitzt ausgeprägte Fähigkeiten in der Bild- und Videobearbeitung und arbeitet seit 2018 wieder als Bibliothekarin.

Über Pia Gaupels

Pia Gaupels, *86, Bibliotheksinformationsstudium an der TH Köln von 2007-2010. Studiert seit 2014 an der Universität Münster Geowissenschaften. Der Schwerpunkt liegt auf Planetare Geologie und Geoinformationswissenschaften. 2015 gründete Sie die Seite Geohorizon. Sie besitzt ausgeprägte Fähigkeiten in der Bild- und Videobearbeitung und arbeitet seit 2018 wieder als Bibliothekarin.

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